Der Seher

1. Der Seher

Konrad wälzte sich im Schlaf. Er sah Schwerter, gerichtet auf einen Mann mit braunen Umhang, einen Mönch. Die Schwerter durchbohrten ihn. Hinter der Gruppe stand in päpstlicher Nuntius, der hämisch grinste.

 

Schon wieder dieser Traum. Immer und immer wieder hatte er diesen Traum.  Und er wusste, dass seine Träume künftige Ereignisse zeigen. Er hatte es schon als kleiner Junge mitbekommen. Da hatte er geträumt, dass ein Mädchen in den Rhein fällt und ertrinkt. Einige Tage später geschah dies.  Es war jenes Mädchen, welches er im Traum sah. Später hatte er im Traum gesehen, wie ein Fuhrwerk, dessen Pferde durchgegangen waren, eine Frau überrollte  -  auch dies traf ein.

 

Aber was hatte es mit dem Mönch auf sich ? Mit den Männern mit Schwertern und dem päpstlichen Nuntius ?

 

Es war das Jahr 1521. Der Winter war vorbei. Die ersten wärmeren Sonnenstrahlen waren zu spüren. Konrad fragte seinen Lehrherrn, den Schmied, ob ein päpstlicher Nuntius im Ort wäre.

 

„Wie kommst du darauf ?“

„Ich weiß nicht. Es interessiert mich.“

„Nein, ich habe keinen gesehen und auch nichts davon gehört.“

 

Zischend setzte er ein Eisen auf den Huf eines Pferdes, dessen Bein Konrad mühsam hielt.

 

„Aber er kommt vielleicht.“

„Wieso, wann ?“

„Es ist doch Reichstag. Und Luther wurde aufgefordert, zu kommen. Er soll sich hier verantworten.“

„Und wieso kommt dann ein päpstlicher Nuntius ?“

„Es heißt, Hieronymus Aleander sei vom Papst beauftragt dafür zu sorgen, dass die Reichsacht über Luther verhängt wird.“

„Was ist das, die Reichsacht ?“

Der Schmied forderte Konrad auf, das Bein des Pferdes wieder abzusetzen. Er sah Konrad ungläubig an. Ja, die Jugend weiß nichts. Keiner weiß wirklich etwas.  Der Reichstag zeigt sich hier auch nur in Saufgelagen, Hurenlagern und durch die vielen täglichen Toten.

„Er ist vogelfrei. Jeder darf ihn umbringen.“

 

Konrad erschrak. 

 

Als es Mittag war ging Konrad zur nahen Kirche.  Der Pfarrer verließ gerade den Beichtstuhl. Konrad wandte sich an ihn. Lächelnd begrüßte ihn der Pastor, der ihn gut kannte.

 

„Nun Konrad, keine Arbeit in der Schmiede ?“

„Doch, Hochwürden, aber mein Herr hat mir erlaubt, kurz hierherzugehen.“

„Hast Du etwa etwas zu beichten ?“

 

Konrad errötete. Nein, das hatte er nicht. Und von seinem Traum musste er auch nicht erzählen. Aber wie bekam er  Antworten von dem Gesitlichen, ohne etwas zu sagen ?

 

„Wisst Ihr, ob ein päpstlicher Nuntius kommt ?“

„Was interessiert dich das ? Aber er kommt. Er will den Kaiser überzeugen, gegen Luther die Reichsacht zu verhängen. „

 

Der Gesichtsausdruck des Geistlichen verfinsterte sich bei diesen Worten merkwürdig. Konrad war auf der Hut.

 

„Wieso will er dies ?“

„Er ist Häretiker und mit dem Kirchenbann belegt.“

 

Das Wort Häretiker wurde von dem Geistlichen beinahe spöttisch ausgesprochen.

 

„Und dann kann ihn jeder mit dem Schwert hinrichten ?“

„Jeder.“

 

Die Antwort kam nur sehr leise über die Lippen des Geistlichen.

 

„Und wird der Reichsbann gegen Luther verhangen ?“

„Ich denke schon. Der Kaiser hat andere Probleme, als sich hier in dieser Frage mit der Kirche anzulegen.“

 

Das Wort Kirche kam wieder wie spöttisch aus ihm heraus.

 

„Sofort ?“

„Nein, das wohl nicht. Luther wurde freies Geleit zugesagt. Er wird also jedenfalls noch aus Worms abreisen können. Aber dann werden sie hinter ihm her sein. Wie die Aasgeier.“

 

Konrad dachte nach. Richtig, in seinem Traum hatte er nicht Worms gesehen. Er sah einen Wald und Wiesen.

 

Während Konrad in Gedanken versunken war, sah ihn der Geistliche scharf an. Er wusste von den Träumen von Konrad und seiner hellseherischen Begabung. Er hatte Konrad auch gewarnt, dies niemanden wissen zu lassen. Zu gefährlich wäre es gewesen, derartiges zu offenbaren, da dies wohl als Zauberei angesehen worden wäre. Aber er war sich sicher, dass die Fragen von Konrad nicht aus reiner Neugierde erfolgten. Denn bisher hatte sich Konrad scheinbar auch nicht für den Reichstag interessiert und sich von allen Orten ferngehalten, an denen es ständig zu Raufereien u.ä. kam.

 

„Sag mir, Konrad, hast Du Luther gesehen ?“

 

Konrad schrak sichtbar zusammen und bekam einen roten Kopf.

 

„Du hast ihn gesehen. Du hast gesehen, wie jemand versucht sein Leben zu beenden.“

 

Konrad schluckte. Wenn er eine Maus gewesen wäre, hätte er sich jetzt noch als zu groß und sichtbar gefühlt. Am liebsten würde er im Nichts verschwinden, das Gespräch ungeschehen machen. Doch der Geistliche hatte ihn bereits an der Schulter ergriffen und schon ihn  sanft in die Nebenkappelle des Kirchenschiffes und verschloss hinter sich die dicke Eichentür. 

 

„Konrad, du kannst mir vertrauen. Du weißt, dass Du mir vertrauen kannst.  Erzähl mir alles. Erzähl mit Deinen Traum.“

 

Konrad kniete vor dem Geistlichen nieder.

 

„Vergebt mir, Hochwürden. Ich kann doch nichts dafür.“

„Du hast eine Gabe, Konrad. Eine Gabe, die andere als Teufelswerk sehen. Aber du kannst mit deiner Gabe auch retten. Du kannst die Geschichte ändern. Wir werden nie erfahren, was tatsächlich geschehen wäre, wenn Du nicht den Traum gehabt hättest und wir nicht etwas unternommen hätten. Aber wir werden dafür sorgen müssen, dass das nicht eintritt, was du geträumt hast, so wahr uns Gott helfe.“

 

Bei den letzten Worten hatte der Geistliche nach oben gesehen und flehentlich gesprochen, als könne er durch diese Worte die Geschichte und die Notwendigkeit des Eintritts verhindern. Konrad, der noch immer vor dem Geistlichen kniete und sein Haupt gesenkt hielt, schaute auf. War den ein Häretiker kein böser Mensch ? War es nicht ein Heide, jemand, der es mit dem Teufel trieb ?   Wieso flehte hier der Pfarrer für diesen ?

 

Als der Geistliche wieder nach unten zu Konrad sah, sah er dessen fragendes Gesicht. Er lächelte wieder milde.

 

„Es ist schwer zu verstehen.    Ich gehöre der Kirche an. Ich predige das Wort Gottes. Aber  -„, der Geistliche verstummte kurz und sprach dann nur noch im Flüsterton weiter, so dass Konrad Mühe hatte, seine Worte zu verstehen, „- aber ich kann nicht alles billigen, was die Kirche macht. Ich kann nicht Glauben vermitteln, den man sich erkaufen kann. Ich glaube an Gott, an seine Wiedergeburt. Ich glaube an die Hölle und das Paradies. Aber ich glaube nicht, dass ich sich von seinen Sünden vor Gott  mit Gaben an die Kirche freikaufen kann.“

 

Konrad hatte davon schon gehört. Der Ablass, mit dem der Sündige wieder rein werden soll.

 

„Luther ist gegen diesen Ablasshandel vorgegangen.  Er hat richtig gehandelt.  Und die Kirche wendet sich gegen diesen Mönch, da er ihren Profit stört.“

 

Und nach einiger Zeit des Schweigens kam barsch im Befehlston  vom Geistlichen:

 

„Erzähl !“

 

Nun berichtete Konrad dem Geistlichen von seinen Träumen, von den Männern mit den Schwertern, dem Mann, der wie ein Mönch aussah und dem päpstlichen Nuntius.  Er wurde von dem Geistlichen nicht unterbrochen. Dieser sah die ganze Zeit Konrad mit ernsten Gesicht an. Als Konrad geendet hatte, griff seine rechte Hand wieder auf die Schulter von Konrad und zog ihn, der immer noch vor ihm kniete, hoch und drückte ihn auf eine Bank. Er setzte sich neben ihn auf die Bank.

 

„Konrad, sag mir wie die Gegend aussah, die du gesehen hast, und zwar möglichst genau.“

 

Konrad versuchte sie so genau wie möglich zu beschreiben.

 

„Wenn Luther hier weggeht, wird er mit einer Kutsche Richtung Eisenach gefahren. Sie werden hier die Furt überqueren. Nicht weit davon befindet sich ein kleines Waldstück mit Wiesen, welches deiner Schilderung entsprechen könnte. Also hat der Scherge des Papstes vor, die Hinrichtung selber vorzunehmen.  – Freies Geleit. Pah !“

 

Der Geistliche machte eine wegwerfende Handbewegung.

 

„Konrad, hilfst du mir Luther zu warnen ? Oder besser noch: Ihn zu retten ?“

 

 

 

2. Die Markentenderin

Auffallend war ihr langes schwarzes Haar, welches ihr ins Gesicht hing. Angezogen mit einem langen und weitem  Kleid, das in Hüfthöhe durch eine Kordel eng geschnürt war, zog sie die Blicke der Ritter und ihrer Knappen an, die rund um und auf dem Marktplatz lagerten, auf dem die Bauern versuchten ihre Waren feil zu bieten. Sie schlenderte langsam über den Marktplatz,

 

Der Marktplatz war überfüllt von Menschen.  Bedingt durch den Reichstag waren viele Fremde anwesend, nicht nur der Adel mit seinem jeweiligen Tross, sondern auch Gaukler, Diebe und anderes Gesinde.

 

Clode schien keine Kenntnis von dem Treiben um sich herum zu nehmen. Dort eine Pöbelei von Betrunkenen, hier eine Schlägerei.  Doch in Wirklichkeit huschten ihre fast gänzlich zugekniffenen Augen, die noch zudem durch die Haare stark verdeckt  waren,  ständig hin und her, als würde sie etwas suchen. Manchmal blieb sie an einem Stand eines Bauern stehen, als würde sie dessen Ware näher betrachten; in Wirklichkeit aber schielte sich ständig zu den Seiten um alles wahrnehmen zu können. Dann zuckte sie, vor einem Stand stehend, zusammen. Eine Hand hatte sich schwer auf ihre Schulter gelegt. Wie eine Schlange wandte sie sich aus der Klammerung heraus und drehte sich herum.  Vor ihr stand ein Mann, der etwas größer als sie war und korpulent. Er lächelte hämisch.

 

„Was zierst du dich ?“

„Was willst du ?“

„Dich. Komm mit.“

 

Clode musterte ihn von oben bis unten.

 

„Nein.“

 

Wieder griff er zu. Die eine Hand legte er ihr schwer auf die Schulter und griff fest zu, so dass sie vor Schmerz aufschrie.  Mit der anderen Hand ergriff er eine ihren rechten Unterarm und zog sich unsanft zu sich.

 

„Doch.“

 

Sie schüttelte den Kopf. Die Haare fielen nach hinten. Ihr Gesicht war frei.  In ihren Augen blitzte es.  Ehe sich der vor ihr stehende Junker versah, rammte sie ihr rechtes Knie mit voller Wucht zwischen seine Beine. Er brüllte auf und ließ sie los. Die Umstehenden, die dies sahen, lachten. Clode nutzte die Zeit und rannte sofort los, durch die Gänge zwischen den Ständen und die dort Herumgehenden und Stehenden. Der Junker, der sich nach wenigen Sekunden gefasst hatte, rannte ihr mit lauten Wutgeschrei nach. Clode kam in eine schmale Gasse, rannte diese hinunter, um eine Ecke. Dort war eine Kirche. Ohne zu überlegen rannte sie in die Kirche hinein. Der Junker hatte sie allerdings noch gesehen.  Er stürmte auch in die Kirche.

 

Clode  blieb, als sie die Kirche betreten hatte, wie angewurzelt stehen. Seit wie viel Jahren war sie nicht mehr in einer Kirche gewesen. War sie überhaupt jemals in einer Kirche gewesen ?  In den Bankreihen knieten einige ältere Frauen, die sich, nachdem die Tür von Clode heftig aufgerissen worden war, verwundert zu ihr umsahen.

 

Nicht lange stand Clode wie angewurzelt, als die Tür wieder heftig aufgerissen wurde und der Junker hereinstürmte.

 

„Das ist für dich, du Hure. Damit du lernst, wie man sich vor einem Herrn benimmt.“

 

Mit diesen Worten hole er mit seiner rechte Hand aus und schlug Clode, die sich erschreckt umgedreht hatte, auf die linke Gesichtshälfte. Der Schlag war so stark, dass Clode taumelte und zu Boden fiel.  Der Junker war sofort bei ihr und versetzte ihr mit seinem Stiefel einen heftigen Tritt in die Seite,  so dass sich Clode vor Schmerzen krümmte.  Als er gerade mit seinen Händen sich bückend die Kehle von Clode ergreifen wollte, legte sich eine Hand auf seinen linken Arm. Verdutzt schaute der Junker auf. Neben ihm stand der Geistliche.

 

„Dies ist ein Gotteshaus, Junker Hugo. Wer hierher kommt steht unter der Gnade und dem Schutz  des Allmächtigen.“

 

Junker Hugo zuckte.

 

„Die Hure hat mich getreten. Und dafür muss sie büßen.“

„Hier in der Kirche wird Buße nicht mit Gewalt gleichgesetzt.“

„Lasst mich mit Eurer Kirche. Ich nehme jetzt die Hure mit raus, und dann habt Ihr nichts mehr damit zu tun.“

„Wenn ein Kind Gottes zu Gott kommt, weist Gott es nicht hinaus. Und Gott lässt es auch nicht zu, dass ein anderer ihm sein Kind wegnimmt. Gehe jetzt also hinaus oder tue selbst Buße. Mein Beichtstuhl steht auch dir offen.“

 

Während des Disputs zwischen dem Geistlichen und dem Junker war die Tür zur Kirche wieder geöffnet worden. Neugierige waren dem Junker gefolgt, um das Spektakel verfolgen zu können. Es waren Knappen, Ritter u.a. Sie standen in der geöffneten Tür und warteten gespannt auf die Reaktion des Junkers.

 

Dieser war rot angelaufen. Nicht vor Scham, sondern vor  Wut. Sein leichtes Zittern verriet, dass er bebte und Mühe hatte, sich unter Kontrolle zu halten. Der Geistliche, der immer noch seine Hand auf dem Arm des Junkers liegen hatte, sah ihn mit starren, durchdringenden Blick an.

 

„Lass mich los, du Kuttenträger.“

„So spricht man nicht mit einem verlängerten Arm Gottes, Junker Hugo. Und schon gar nicht in einem Gotteshaus. Das zumindest solltest du wissen.“

 

Währen der Junker seine Worte schrie, sprach der Geistliche leise, aber bestimmt. Seine Worte klangen wie Stahl, dass in dem Gegenüber eindringen sollte. Als wollte er diesen mit seinen Worten vernichten. Ansonsten war es völlig ruhig. Weder die Andächtigen in der Kirche noch die Neugierigen, die sich in der geöffneten Tür drängten, rührten sich oder gaben einen Laut von sich. Lediglich vom fernen Marktplatz hörte man noch abgestumpft verhallend den Lärm. 

 

Der Junker, der noch immer zu Clode hinab gebeugt stand, richtete sich auf, schüttelte die Hand des Geistlichen von sich ab und drehte sich zu ihm hin. Clode, trotz ihrer Schmerzen im Unterleib, nutzte dies um sich langsam wegzurobben, an einer Bank hochzuziehen und weiter ins Kirchenschiff zu schleppen.

 

„Mann Gottes, wie sprichst du mit einem Junker ? Soll ich dir lehren, was Gehorsam heißt ?“


Wieder schrie es der Junker aus sich heraus. Dabei spie er auf den Gesitlichen. Dieser erwiderte wieder leise mit schneidenden Ton:

 

„Junker Hugo, du bist bekannt für Tyrannei. Doch diese endet an der Pforte zur Kirche. Hier gilt nicht dein Recht, sondern das Recht der Kirche. Und dieses Recht verkörpere ich. Und ich sage dir jetzt: Verlass das Gotteshaus, wenn du nicht Buße tun willst für deine Freveleien, deren es viele gibt.“

 

Der Junker holte mit seiner rechten Hand zum Schlag gegen den Geistlichen aus. Ein Gemurmel ging durch die Anwesenden. Doch ehe er  noch zuschlagen konnte, versetzte der Geistliche ihm einen Schlag mit der Faust mitten ins Gesicht, so dass hörbar das Nasenbein des Junkers zerbarst. Vor Schmerzen schrieb der Junker aus, griff mit beiden Händen an die Nase, die stark blutete.

 

„Gott verzeih mir.“ Mit diesen Worten hatte der Geistliche zugeschlagen.

 

Er wandte sich an die Neugierigen in der Tür.

 

„Nehmt ihn mit. Und lasst es euch alle eine Lehre sein.“

 

Er drehte sich um und ging langsam in das Kirchenschiff. Von außen kamen einige Männer, die den laut vor Schmerzen schreienden Junker ergriffen und ihn aus der Kirche führten. Derweil suchte der Geistliche mit den Augen das Kirchenschiff nach der Marketenderin ab. Eine alte Frau sagte ihm, diese sei in die nebenliegende Kapelle gegangen. Doch als der Geistliche dort hinkam, war sie nicht mehr da. Die Seitentür der Kapelle war offen.

 

Clode hatte die Auseinandersetzung zwischen dem Geistlichen und dem Junker genutzt, war in die Seitenkapelle gegangen und hatte, nachdem sie feststellte, dass dort die Seitentür nicht verschlossen war, die Kirche verlassen. Sie gelangte auf einen kleinen Friedhof, den sie durchquerte und durch eine kleine Pforte wieder verließ. Sie gelangte in eine der kleinen Gassen und durchstreifte sie weiter, vermeidend, wieder Richtung Marktplatz zu gehen. Geplagt durch die Schmerzen setzte sie sich auf die Stufe zu einem der Häuser. Sie atmete tief durch. Als sie sich an die linke Wange fasste, stellte sie fest, dass diese durch den heftigen Schlag geschwollen war. Doch gegenüber dem Schmerz im Unterleib vermerkte sie dort kaum Schmerzen.

 

Sollte sie so wieder zurück zum Lager, welches sich außerhalb der Stadtmauern befand, gehen ? Sie würde gefragt, was geschehen ist, sie würde ausgelacht werden. Es würde ihr gesagt werden, dass sie es doch hätte tun sollen, sie tut es ja immer. Ihre Augen richteten sich gen Himmel. Sie musste blinzeln, da sie genau in die Sonne sah.

 

Hinschmelzen, nur hinschmelzen, und es ist alles vorbei, dachte sie.

 

So mag sie über eine Stunde gesessen haben. Es öffnete sich die Tür hinter ihr.

 

„Hau ab, Hure. Dies ist kein Lagerplatz für dich.“

 

Ein grobschlächtiger Mann hatte die Tür geöffnet. Sie sah in flehentlich an. Doch sein Gesichtsausdruck änderte sich nicht. Mit einer Handbewegung machte er klar, dass sie dort nicht verweilen solle.  Mühsam erhob sie sich. Die Schmerzen hatten etwas nachgelassen. Sie ging weiter durch die Gassen  -  aber wohin. So gelangte sie wieder an die Pforte zum Friedhof. Sie ging hinein. An einem der Gräber setzte sie sich wieder hin, winkelte die Beine an und begrub ihren Kopf zwischen den Knien. 

 

Sie wusste nicht, wie lange sie schon so gesessen hatte, als sie plötzlich eine freundliche Stimme neben sich hörte. Dabei hatte sie gar nicht mitbekommen, dass sich jemand nähert.

 

„Wie geht es dir, meine Tochter ?“

 

Sie schaute auf. Vor ihr stand der Geistliche, der sie vor dem Junker gerettet hatt. Gerettet ? War es nicht jetzt noch viel schlimmer ? Was ist, wenn der Junker sie wieder findet ? Es rannen ihr bei diesem Gedanken Tränen aus den Augen. Sie senkte wieder den Blick. Trostlosigkeit machte sich in ihr breit.

 

„Es geht immer weiter, meine Tochter. Gott hilft jedem, der seine Hilfe braucht.“

„Hat er mir denn geholfen, als mich der Junker schlug ?“

„Ja, er hat dich in sein Haus geführt.“

„Und dort wurde ich wieder angegriffen.“

„Die Wege Gottes sind für uns Sterbliche nicht immer nachvollziehbar. Aber er weiß was er macht.“

„Und was hat er gemacht ? Wo soll ich hin ? Was ist, wenn mich der Junker draußen im Lager wieder sieht ?“

„Vielleicht will Gott nicht, dass du wieder in das Lager gehst.“

„Aber wohin sonst. Ich kenne niemanden. Ich habe niemanden. Ich kann nur das….“

 

Sie ließ es unausgesprochen, was sie kann. Der Geistliche insistierte auch nicht, denn er wusste nur zu gut, weshalb Marketenderinnen immer bei Truppen mitgehen. Die Truppe sollte bei Laune gehalten werden. So gab es immer Unterhaltung.  Die Frauen wurden genutzt, um die Kampfeskraft der Söldner zu fördern.

 

„Du solltest jetzt erst einmal etwas essen und trinken. Und ich denke, wir werden gemeinsam etwas für dich finden.“

 

Der Geistliche sprach sehr sanft, nicht in dem scharfen, ja schneidenden Ton wie mit dem Junker. Aber er sprach auch sehr bestimmt. Sein Sprechen hatte für sich Überzeugungskraft, die auch Clode etwas Mut einflößte. Vielleicht gab es doch noch etwas anderes. Aber was ?

 

Der Geistliche beugte sich herunter und ergriff leicht ihre Hand. Sie stand auf. Er ließ ihre Hand wieder los und ging Richtung Kirche. Sie folgte ihm, ohne dass er noch etwas sagen musste. Vor der Kirche wandte er sich nach rechts; neben der Kirche lag ein kleines Haus, welches auch einen direkten Zugang zur Friedhof hatte. Dort ging er hinein. Drinnen kam ihnen gleich eine dicke Frau entgegen.

 

„Hochwürden, was habt Ihr gemacht ? Alle sprechen schon darüber. Ihr habt dem Junker Hugo das Nasenbein zerschmettert.  Er soll Rache an Euch und an einem Mädchen geschworen haben, irgend so einer Hure...“

 

Bei diesem Worten verstummte sie.  Erst jetzt nahm sie bewusst wahr, dass der Geistliche nicht alleine hereingekommen war, sondern eine junge Frau dabei war.

 

„… an ihr ?“

 

„Magda, mach bitte Wasser warm. Sie will sich waschen. Und dann bereite ihr etwas zu essen und trinken. Sie hat genug gelitten.  Und denke dran:  Für Gott sind alle Kinder gleich.“

 

Auch das sagte der Geistliche in sehr sanften Ton, ohne jeden Vorwurf.  Er forderte Clode auf, sich auf einer Bank am Tisch zu setzen, was diese auch sofort tat. Sie strich sich die Haare aus dem Gesicht und bemerkte, dass der Gesichtsausdruck von Magda, die erst recht energisch auf den Geistlichen eingesprochen hatte, milde Züge annahm, sie fast bemitleidend ansah,  ehe sie den Raum verließ.

 

„Verzeih, mein Kind, aber ich glaube nicht, dass wir für dich passende Kleider haben. Die Kleider von Clode“  - er lächelte – „dürften dir nicht passen. Aber du kannst ja heute Abend dein Kleid waschen und sie dann am Kamin zum Trocknen aufhängen. Es dürfte morgen wieder trocken sein. Und dann werden wir weitersehen. Heute bleibst Du hier. Du kannst hier im Raum schlafen.  Ich muss mich jetzt um meine Schäflein kümmern.“

 

So verließ der Geistliche den Raum. Er kam auch an diesem Tag nicht wieder. Magda hatte heißes Wasser gemacht und Clode konnte seit langer Zeit einmal wieder in heißen Wasser in der Wanne baden und bekam dann auch ein für sich überaus reichhaltiges Essen.  Sie wusch ihr Kleid, hängte es am Kamin auf und legte sich auf der Bank zum Schlafen, auch wenn es noch nicht Abend war. Magda hatte ihr Decken gebracht.

 

 

 

3. Die Abrede

Als der Geistliche den Raum betrat, saß Clode bereits am Tisch. Die Decken hatte sie säuberlich zusammengelegt neben sich auf der Bank liegen. Sie sah den Geistlichen erwartungsvoll an.  Dieser setzte sich auf einen Schemel an den Tisch und schaute Clode an. Nach einer Weile räusperte er sich, stand auf, ging kurz im Raum auf und ab und setzte sich wieder. Clode war über sein Verhalten verwundert.

 

„Was machen wir mit dir, meine Tochter ?“

„Muss ich zurück ins Lager ?“

„Nein, das nicht. Nie. Nicht mit mir. Ich habe eine Idee. Ich hätte eine Aufgabe. Aber ich weiß nicht, ob ich dir dies zumuten darf.“

 

Er stockte.

 

„Bitte Hochwürden, sagt es mir. Ich kann dann auch sagen, ob ich es mir zumute.“

 

Der Geistliche betrachtete Clode eine Weile.

 

„Nun gut. Ich will Dir vertrauen.  Du bist hier, da der Kaiser den Reichstag einberufen hat. Luther wird auch kommen…“

„Ich habe von ihm gelesen. Es gab ein Papier, welches verteilt wurde. Er sei kein Teufel.“

„Du kannst lesen ?“

 

Clode errötete und senkte den Blick.

 

„Ich weiß was ihr von mir haltet, Hochwürden. Ich hatte es mir selber beigebracht. Aber nirgends ist es erwünscht. Keiner will mit einer zu tun haben, die vielleicht klüger ist. Immer nur bin ich die Schlampe.“

„Meine Tochter, Gott vergibt auch den Sündigen. Du musst dich nicht vor mir rechtfertigen, nur vor dem Herrn. Aber das Schicksal ist manchmal hart. Und das Schicksal ist auch für den Mönch hart.“

 

Er stockte wieder, sah wieder gebannt Clode an. Diese verharrte noch in der Stellung mit dem gesenkten Kopf.

 

„Meine Frage ist, ob du helfen willst, Luther vor dem Tot zu bewahren.“

 

Blitzartig schaute Clode auf. In ihren Augen stand Verwunderung.

 

„Ich bin nicht Heilerin.“

 

Der Satz wurde mit einem Schrei von ihr ausgestoßen. Der Geistliche lächelte milde. Er wusste,  weshalb Clode erschrak. Als Heilerin hätte sie Fähigkeiten des Teufels, sie wäre eine Hexe. Der Schafott wäre das Ergebnis.

 

„Ja, ich glaube dir. Aber du sollst ihn nicht heilen. Er ist nicht krank, glaube ich jedenfalls. Aber ihm droht der Tot, wenn er nach Worms kommt. Er hat sich mit der Kirche angelegt. Und die Kirche will verhindern, dass sich seine Gedanken verbreiten. Alleine seine Ablehnung des Ablasses schadet der Kirche, wenn keiner mehr zur Bereinigung seiner Seele zahlt. Die materiellen Güter sind in der Kirche, wenn sie selbst diese bekommt, sehr hoch angesehen. Deshalb ist sein Tot erwünscht. Mit der Kirchenacht  - vielleicht hast du darüber auch gelesen -  will die Kirche die Gläubigen von Luther abbringen. Aber das reicht ihr nicht.“

„Aber woher wisst Ihr, dass die Kirche den Mönch umbringen will ?“

„Eins nach dem anderen, meine Tochter. Erst ist die Frage von dir zu beantworten, ob du helfen willst und meinst, dafür stark genug zu sein. Es steht dir frei. Ich werde dir auch helfen, wenn du nein sagst, denn an sich erwarte ich keine andere Antwort.“

 

Die Stimme des Geistlichen war sehr ruhig. Aber unüberhörbar war gleichwohl, dass er sehr angespannt war.  Clode fixierte ihn. Er hatte, wie bereits am Vortag, seinen Talar an. Der war nicht mehr der Neueste, wenn man es vorsichtig und für ihn günstig darlegen wollte. Er war groß und recht rundlich. Auf seinem Kopf hatte er kaum Haare.  Dabei machte er mehr den Eindruck eines älteren Mannes, der sich mit alltäglichen Problemen von Menschen beschäftigt, als von jemanden, der tatendurstig, gar abenteuerlustig wäre. Das weckte die Neugierde in Clode.

 

„Ich bin bereit. Was habe ich mit dieser Kirche ?“

 

Kaum hatte sie dies gesagt, bereute sie es schon. Saß sie nicht bei einem Herrn der Kirche, gar in dessen Haus ? Hatte er sie nicht vor Schlimmen, jedenfalls bisher, bewahrt ? Aber der Geistliche lächelte nur. Es war aber ersichtlich ein müdes lächeln.

 

„Kirche ? Welche ? Die des Herrn und seines Sohnes Jesus Christus ?“

 

Der Geistliche verstummte. Er schien nachzudenken.

 

„Es geht um die Kirche. Es geht um den Herrn. Nicht alles, was diejenigen machen, die meinen Gott auf Erden vertreten zu können, ist auch göttliches Werk.“

 

Er stockte wieder. Sein Blick richtete sich durchdringend auf Clode, die dadurch erschauerte. Dann wurde sein Blick wieder mild, nahm den für ihn üblichen Ausdruck an. Clode merkte, dass er nicht jener älterer Mann war, den man meinte vor sich zu haben. Er war jemand, der wusste, was er macht, der ein Ziel verfolgt.

 

„Meine Tochter. Es gibt jemanden, der die Gabe des Sehens hat. Aber…“  - der Geistliche merkte, dass Clode etwas einwerfen wollte, worüber er nicht weiter mit ihr sprechen wollte um nicht das Thema aus den Augen zu verlieren – „… das ist keine Hexerei. Gott erscheint in Vielerlei Gestalt und offenbart sich Einzelnen auf unterschiedlichste Weise.  Er hat die Ermordung von Luther gesehen. Und nicht nur dieser Traum, der für mich die letzte Ungewissheit hinwegfegte, legen die Annahme nahe, dass dies gewollt ist. Damit müssen wir alles tun, damit diese Tat nicht verübt werden kann. Alles, was uns möglich ist. Und dabei kannst du uns helfen. Aber, ich warne dich, es ist gefährlich. Denn jeder, der Luther hilft, ist in Gefahr. Du kannst für deine Hilfe dein Leben verlieren, vielleicht sogar ohne dass dies geholfen hätte.“

 

Wieder sah der Geistliche Clode durchdringend an. Jetzt aber hielt sie seinem Blick stand. Sie sah ihn fest in die Augen.

 

„Wenn Ihr meint, ich schaffe es nicht, so lasst es hiermit gut sein. Wenn Ihr meint, ich könnte es schaffen, so redet weiter.“

 

Der Blick des Geistlichen änderte sich spontan. Er sah Clode freundlich an und fing laut an zu lachen, wobei er sich auf die Oberschenkel schlug.

 

„Gut, es ist gut. Ja, du bist wie geschaffen für diese Mission, meine Tochter. Der Herr muss dich in meine Kirche geschickt haben. „

 

Die Tür öffnete sich. Magda kam rein. Sie sah den vor Lachen prustenden Geistlichen und schüttelte den Kopf. Der Geistliche winkte mit der Hand ab und gab ihr die Anweisung, Clode Frühstück zu bereiten. Auf die Frage, ob er nicht auch frühstücken wolle, gab er an, noch etwas erledigen zu müssen und ging.

 

Sein Weg führte ihn direkt zur Schmiede. Vor dieser stand der Schmied und sah auf der Straße dem Treiben zu.

 

„Nach Schmied, nichts zu tun.“

„Hochwürden, ich habe immer zu tun. Aber auch der arbeitsamste Schmied darf doch auch als gottgläubiger Mensch einmal innehalten, oder ?“

„Wenn du dabei keine falschen Gedanken hast, ja. Aber sag, ist dein  Geselle Hugo schon da ?“

„Ja, er ist hinten und bereitet die Esse vor.“

„Hm. Ich habe eine Bitte.“

„Welche ?“

„Ich brauche Hugo für einige Tage.“

„Aber Hochwürden, Ihr wisst, dass Hugo mein bester Geselle ist. Wass soll ich dann machen ? Und er braucht auch sein Geld.“

„Ich weiß um die Befähigung deines Gesellen; er macht wohl …. Manchmal … dem Meister etwas vor, so dass  dieser lernen kann….“

 

Verschmitzt lächelte der Geistliche. Der Schmied zog seine Stirn in Falten, sein Gesicht verfinsterte sich etwas. Dann aber lachte er.

 

„Ihr meint damals mit dem Pferd vopm Brauer ? Ja, er war besser. Er wusste was zu tun ist, ich nicht.“

 

Dann flüsterte er.

 

„Er sagte mit nachher, er hätte es geträumt. Um im Traum hätte er die Ursache gesehen. Wirklich lachhaft, diese Ausreden, mit denen er versucht seinen Meister zu beruhigen.“

 

Der Geistliche lachte auch, aber er wusste, dass die Angabe des Gesellen damals wohl richtig war. Darüber wollte er dem Schmied aber nichts berichten. Deshalb beließ er ihn in seinem Irrtum.

 

„Du weißt, dass Luther kommt.“

„Ich habe es gelesen.“

 

Bohrend sah der Geistliche den Schmied an.

 

„Was hältst du von Luther ?“

„Ein Mönch der sich mit der Kirche anlegt.“

„Und ?“

„Was heißt und ? Ich bin nicht die Kirche. Ich kümmere mich um die Pferde.“

 

Die Angabe des Schmiedes war ersichtlich ausweichend.

 

„Was hältst du von den Thesen von Luther ?“

„Hochwürden, ich bin kein Häretiker.“

„Schön. Das beantwortet nicht meine Frage, Denn ich habe nicht behauptet, Luther sei ein solcher.“

 

Der Schmied musterte den Geistlichen. Wo war seine sonst übliche fürsorgliche, freundliche Art ? Hatte man etwas gegen ihn gefunden und wollte man ihn opfern für etwas, von dem er noch keine Kenntnis hatte ? Und was hatte das alles mit seinem Gesellen zu tun ? Weshalb wollte der Geistliche, dass er auf ihn einige Tage verzichtet ?

 

„Hochwürden, ich denke Ihr solltet sagen, um was es Euch geht. „

 

Der Tonfall des Schmiedes war kalt, abweisend.

 

„Würdet ihr Luther helfen, wenn er in Gefahr ist ?“

„Wie sollte ich dem Mönch, der im Kirchenbann ist, helfen ?“

„Würdet ihr ?“

„Was wollt ihr von mir, Hochwürden ?  Meine Zeit ist kostbar. Ich muss arbeiten.“

 

Der Geistliche schaute wieder wie üblich, der alte Mann, der sich um die Probleme seiner Gemeinde kümmert. Er sah wieder freundlich aus. Aber er sprach, wie schon die letzten Sätze zwischen ihnen, nur leise, damit niemand mithören konnte.

 

„Ich brauche Hugo um Luther zu retten.“

 

Das nun verschlug den Schmied doch die Sprache. Sein Mund öffnete sich, aber es drang nichts heraus. Er schloss ihn wieder und atmete tief durch.

 

„Nun ja, ganz verstehe ich den Tumult um Luther auch nicht. Es gibt wohl Dinge zwischen Himmel und Erde, die sich einem einfachen Schmied wie mir nicht erschließen.“

„Ja mein Sohn, das wird es sein.  Also, kannst du einige Tage Hugo entbehren ? Er könnte ja auch krank sein und seine Arbeit nicht verrichten.“

 

Der Schmied hatte die einzelnen Zettel, die zu Luther verbreitet wurden, gelesen. Bestand eine Gefahr für ihn, wenn er nach Worms kommt ? Und wollte ihm tatsächlich der Geistliche als Mitglied der Kirche, die gegen Luther etwas unternimmt, schützen, gar mit Hilfe seines Gesellen ? Und warum mit Hilfe seines Gesellen ? Er sah aber, dass wohl der Geistliche nicht die sich ihm aufdrängenden Fragen beantworten würde.  Mürrisch sagte er nur „Gut“ und der Geistliche verschwand schon in der Schmiede.

 

Dort fand er den Gesellen vor, der die Glut anfachte.

 

„Hugo, ich habe mit dir zu sprechen. Ich habe mir überlegt, wie man Luther  vielleicht vor dem En de bewahren kann, welches du geträumt hast.“

 

Hugo sah den Geistlichen verwundert an. Wie sollte er helfen ?

 

„Pass auf. Ich habe einen Plan. Und um diesen zu verwirklichen, benötige ich deine Hilfe. Das geht allerdings nicht in kurzer Zeit. Wir benötigen einige Tage. Der Schmied, mit dem ich eben gesprochen habe…“ – hierbei lächelte der Geistliche verschmitzt – „…ist damit einverstanden, dass du für einige Tage nicht da bist, wie bei Krankheit. Du bekommst aber auch keinen Lohn. Ich werde versuchen, dies aus der Kollekte in der Kirche zu ersetzen.“

 

Hugo biss sich auf die Unterlippe. Er wusste um die Realität seiner Träume. Aber konnte, gar sollte oder durfte man die gesehene Zukunft ändern ? Der Geistliche sah Hugo seine aufkommenden Bedenken an.

 

„Gottes Wege sind unerfindlich. Der Mensch soll sich da nicht einmischen. Aber du hast etwas gesehen. Der Herr hat dich an etwas teilhaben lassen, was noch gar nicht geschehen ist. Warum ? Nur um deine Neugierde zu befriedigen ? Damit du früher als andere wissen, was geschieht ? Sollst du das bei Gutenberg pressen lassen ? Nein, der Herr hat dich zu seinem Werkzeug gemacht. Der menschliche Wille ist unabhängig vom Herrn. Der Herr versucht nur zu beeinflussen. Er versucht zu richten, was gerichtet werden kann. Du bist sein Werkzeug, Hugo. Und du weißt, dass das, was du träumst, nicht Phantastereien sind.  Er hat dir etwas gezeigt, damit du es verhinderst. Du kannst, ja du sollst die Zukunft beeinflussen. Ohne dich tritt ein, was du erträumst hast.“

„Und mit mir nicht ?“

„Und mit dir ?“ Die Mine des Geistlichen verfinsterte sich wieder. „Mit dir tritt es vielleicht auch ein. Vieleicht wirst du sogar verwickelt.  Vielleicht verlierst du dabei sogar dein Leben. Gottes Wege sind unerfindlich und nicht zu ergründen.“

 

Schweigend standen sich der Geistliche und Hugo gegenüber. Hugo hatte immer noch den Haken in der Hand, mit dem er die Glut anfachte.

 

„So also !“

 

Ohne dass sein Nähern von Hugo oder dem Geistlichen wahrgenommen worden wäre, trat der Schmied hinter einem Fass hervor.

 

„Hochwürden, achtet darauf, wo ihr was sagt. Nicht jeder Ort ist sicher. Und hier sind soviel Geräusche, dass man die Annäherung nicht unbedingt hört.“

 

Hugo blickte erschrocken zum Schmied, der Geistliche lächelte ihn an.

 

„Schmied, nachdem du ja wohl alles mitbekommen hast, was sagst du dazu ?

 

Für Hugo war das Verhalten des Geistlichen völlig unverständlich. Hatte er nicht gegen Regeln der Kirche verstoßen, da er versuchte einen Kirchenfeind zu schützen ? War nicht der Schmied nun auch noch Zeuge davon ? Und wusste nun nicht auch der Schmied über sein Geheimnis des Sehens und damit der Zauberei ?

 

„Entschuldigt mein Verhalten, Hochwürden. Ich war nur neugierig geworden. Ich bin Euch nachgegangen.“

 

Zur Verwunderung von Hugo war es jetzt der Schmied, dem die Situation offensichtlich peinlich war. Hugo hatte noch überlegt, ob er auf den Schmied mit dem Haken einschlagen müsste, um einen Zeugen zu beseitigen. Aber was er sah, ließ ihn davon abkommen. Der Schmied, sein Herr, war nach der  freundlich gestellten Frage des Geistlichen, der sich auch keine Überraschung anmerken ließ, in sich zusammengesunken, wie ein armer Sünder. Dabei hatte er doch nichts verbotenes getanb, war es doch sein Haus, indem die Reden gehalten wurden.

 

„Nun Schmied, du weißt jetzt alles. Bleibt deine Entscheidung stehen ?“

„Hochwürden, verfügt über Hugo. Ich werde zwar keinen Lohn zahlen können …. „ – dabei blickte er kurz beängstigend in die Augen des Geistlichen- „…aber ich bin gerne zur Hilfe bereit.“

 

Nach einer kurzen Weile des Schweigens fügte der Schmied hinzu:

 

„Ich habe auch keinen Ablass gezahlt. Was soll das ? Die Bibel sagt doch, dass Gott dem reuigen Sünder verzeiht. Von Zahlungen ist nicht die Rede. Pharisäer wurden im Tempel vertrieben.“

„Nun gut, dann sind wir uns alle einig. Hugo wird helfen, Luther vor dem Tot zu bewahren, der ihm nach der Ankunft in Worms erwartet.“

 

„Nach der Ankunft ?“

 

Der Schmied und er Geistliche schauten nach dieser Aussage des Gesellen ungläubig auf diesen.  Der Geistliche rekonstruiert noch einmal den von Hugo benannten Traum.

 

„Dein Traum zeigte doch eine Situation nach Verlassen von Worms.“

„Ja, aber letzte Nacht träumte ich, dass er in einer Herberge umgebracht wird. Und zwar  auf der Anreise nach Worms.“

„Das würde bedeuten, dass dein erster Traum die Verhinderung des ersten Anschlags bedeutet. Aber wer, wenn nicht wir, sollte ihn verhindern ? Also ist Eile geboten. Hugo, bitte lass es nicht noch weiter nach vorne rücken.  Aber wesentlich: Glaube deinen Träumen. Du wirst wohl einiges selbst erdenken müssen… Gott steh uns allen bei.“

 

 

 

4. Die Vorbereitung

Im Pfarrhaus saßen der Geistliche, Konrad, Clode und der Schmied am Tisch. Obwohl es gar nicht so warm war, schwitzte der Geistliche. Man merkte ihm seine Anspannung an.

 

„Meine Kinder, was wir vor haben, ist tolldreist. Manchmal fange ich jetzt auch an zu zweifeln, ob es gut ist, sich hier einzumischen. Was können wir gegen die Schergen des Papstes …“  - dabei spie er zur Seite –„.. und des Kaisers…“ – er spie wieder aus -  „…unternehmen ? Was können wir ihnen entgegenhalten ?“

„List“ prustete Clode lachend hervor.

„Sie hat recht“. Der Schmied beugte sich vor. „Nur List und vielleicht etwas Geschicklichkeit und Glück. Und wir haben Konrad. Wir wissen, was geschehen wird und wir wissen wohl auch, wo es  - jedenfalls ungefähr -  geschieht. Und wenn wir nichts unternehmen, wird Luther hingerichtet. Durch jene, die dies dann noch in Gottes Namen vollziehen. Eine erbärmliche Kirche, die nur zu ihrem Vorteil und Gewinn handelt, damit es dem hohen Klerus gut geht.“

 

Er schaute auf den Geistlichen. Hatte er diesen jetzt verletzt ? Immerhin lebte dieser auch von eben dieser Kirche. Doch dieser reagierte nicht auf eine mögliche Anspielung auf seine Person.

 

„Alles gut und schön. Aber wie fangen wir es an ? Was machen wir ? Was machen wir jetzt zuerst ? Müssen wir etwas vorbereiten ? Was ?“

 

Der Geistliche schaute alle der Reihe nach ernst an. Keiner sagte etwas. Clode schien bei diesen Worten etwas in sich gesunken zu sein.

 

„Wir müssen zunächst herausfinden, wo Luther absteigen wird. Nein, wir müssen wissen, wie er hierher kommt. Wir müssen soviel wie möglich wissen über die Planung seines Aufenthalts in Worms, damit wir ihn bewachen und auch eventuell eingreifen können  --- wobei ich mir gar nicht ausdenken will, wie wir eingreifen sollen. Wir könne doch kein Schwert schwingen.“

 

Clode lächelte wieder.

 

„Aber Hochwürden, etwas herauszufinden ist doch einfach. Das übernehme ich. Ich denke schon, dass die Ritter gerne mit mir reden.“

 

Bei diesen Worten bewegte sie ihre Brust deutlich nach vorne. Es war deutlich zu erkennen, auf welchen Weg sie die Informationen holen wollte.

 

„Ja, so müsste es gehen.“

 

Konrad, der bisher geschwiegen hatte, war als erster für Clodes Vorschlag. Der Schmied nickte beifällig. Nur der Geistliche war noch nicht überzeugt.

 

„Ist das der richtige Weg, meine Tochter ? Du willst dich denen hingeben.“

„Wenn kein besserer Vorschlag kommt, wieso nicht ? Diesmal gibt es auch einen Sinn. Ich mache es nicht nur, um mich zu ernähren. Ich helfe damit.“

 

Der Geistliche wollte sie noch davon abbringen. Doch seine Argumente waren schwach, und es war erkennbar, dass auch er dies als einzigen derzeit gangbaren Weg sah, etwas herauszufinden. Nur, wo sollte man anfangen ?

 

„Eine Hauptfigur ist der Nuntius Hieronymus Aleander.  Es ist im Goldenen Hof. Dorthin solltest du gehen.“

 

Clode begab sich bereits am frühen Nachmittag dieses Tages zum Goldenen Hof, in dem der Nuntius sein sollte. Es war ein großes Gasthaus. Vor diesem standen einige päpstliche Ritter. Niemand hinderte aber Clode am Zutritt. Im Gastraum saß, erkennbar an seiner Kleidung aus teurem Tuch, der Nuntius. Er saß alleine am Tisch, vor sich Wein. Tielstrebig ging Clode auf ihn zu.

 

„Oh erhabener Herr.“

 

Clode hatte eine bittende Stimme, Ich Kopf, ja ihr ganzer Körper war nach vorne gebeugt, als wollte sich gleich vor dem Nuntius auf den Boden legen. Dieser blickte auf, erst verärgert, dann aber, nachdem er  Clode kurz von oben bis unten gemustert hatte, gespannt. Doch schon kam der Wirt und fasste Clode hart an den linken Oberarm und wollte sie wegziehen.

 

„Für Gesinde wie dich ist hier kein Platz. Du kannst den Herrn nicht belästigen. Verschwinde.“

„Nein, guter Wirt, sie möge sagen, was sie von und will.“

 

Die Worte waren freundlich, doch bestimmt. Sofort ließ der Wirt los, machte eine tiefe Verbeugung und ging  - rückwärts gehend -  in gebückter Haltung wieder zu seiner Theke. Doch die Aufmerksamkeit der wenigen Anwesenden, alles Ritter, Pagen oder auch Knechte aus der Begleitung des Nuntius, war auf sie gerichtet.

 

„Nun, mein Kind, was willst du von uns ?“

„Ich wollte bei euch beichten  -  und ich wollte den Ablass. Aber ich habe nichts, was ich geben könnte. Ich besitze nur das, was ich am Leib trage.“

 

Es flossen Tränen über die Wange von Clode.

 

„Richte dich doch auf.“

 

Clode streckte sich gerade und achtete darauf, dass ihre Brust deutlich zum Vorschein kam. Der Nuntius musterte sie. Wie sich zeigte, schien er Gefallen an ihr gefunden zu haben.

 

„Ich denke, ich kann da etwas für dich machen. Es soll doch niemand mit seinen Sünden leben müssen.“

 

Er sprach gönnerhaft. Einige der Ritter in der Nähe lächelten; sie hatten wohl erkannt, was der Nuntius beabsichtigt. Doch dieser kümmerte sich nicht um seine Begleitung.  Langsam beugte er sich vor und bedeutete Clode, sich zu ihm herunterzubücken. Das tat sie auch. Dabei konnte er in ihr Hemd sehen, auf die prallen Brüste.  Nur im Flüsterton fuhr er fort.

 

„Komm heute Abend um zehn an die Hintertür.“

 

Laut fuhr er fort:

 

„Ich werde mir etwas überlegen und es dich wissen lassen. Deine Sünden, der es sicherlich viele sind, werden dir vergeben werden. Gott ist barmherzig.“

 

Er beugte sich wieder zurück und bedeutete Clode mit der Hand, dass sie sich jetzt wieder entfernen möge. Clode ging.

 

Am Abend, die Kirchenglocken hatten gerade geschlagen, war sie am Hintereingang des Gasthauses.  Ein Lakai öffnete die Tür. Er sagte kein Wort. In der einen Hand hielt er eine Kerze. Er bedeute er, ohne ein Wort zu sagen, ihm zu folgen. Sie gingen durch einen langen Flur, dann eine Treppe hoch. Vor einem Raum hielt er an, klopfte und öffnete die Tür. Der Raum war durch Kerzenschein schwach ausgeleuchtet. Er schob Clode hinein und schloss die Tür wieder hinter ihr. Clode schaute sich um. Der Nuntius kam aus einem Nebenraum auf Clode zu.

 

 

 

5. Verbündete

Das erste Tageslicht ließ das Dunkel der Nacht weichen, als Clode wieder  im Pfarrhaus ankam. In der Stube saßen am Tisch der Geistliche, der Schmied und  - mit dem Kopf auf dem Tisch liegend schlafend -  Konrad. Sie hatten die Nacht über auf Clode gewartet und mit jeder Stunde, die verging, wurden sie innerlich unruhiger. Der Geistliche machte sich innerlich Vorwürfe, dass er den Gang von Clode zugelassen hatte. Seine Hände waren zum Gebet gefaltet  -  und er hatte ständig gebetet.  Man konnte ihm, aber auch dem Schmied die Erleichterung ansehen, als Clode eintrat.

 

„Was war ? Was hat er gemacht ? Was hat er gesagt ? Wissen wir jetzt die Pläne. Nun rede doch.“

 

Die Worte des Schmiedes überschlugen sich. Durch sein lautes Reden erwachte Konrad und schaute hoch. Er sah Clode, mit aufgelösten Haar. Ihre Bluse war saß nicht richtig. Sie Gesicht war völlig blass. Ihr rannen Tränen über die Wangen. Konrad sprang auf, eilte auf Clode zu, nahm sie in seine Arme, und führte sie so sanft zur Bank, wo er sie niedersetzen ließ.

 

„Lasst sie doch erst einmal ausruhen, Herr.  Sie sollte sich erst einmal stärken.“

 

Als ob er einen Befehl dazu gerufen hätte, öffnete sich die Tür. Magda kam herein. Sie brachte ein Brett mit Fleisch und Wein.

 

„Nun ess erst einmal was. Diese Mannsleute sollen sich etwas gedulden. Die Welt wird nicht in den nächsten Minuten untergehen  -  und wenn doch, werden wir es nicht hindern können.“

 

Dabei warf sie dem Schmied, der sich erhoben hatte und mit tiefroten Kopf vor dem Tisch stand, ohne Worte mit den Händen wild gestikulierte, einen strafenden Blick zu. Dieser schluckte und setzte sich wieder, ohne etwas zu sagen. Magda setzte sich auch an den Tisch, direkt neben Clode, als wolle sie wie eine Henne ihr Küken vor Angriffen schützen. Clode biss kräftig in das Fleisch, hatte es mit beiden Händen zum Mund geführt. Manchmal legte sie es zur Seite, um aus dem Becher zu trinken, den sie auch immer hastig mit beiden Händen nahm, so dass beim trinken Wein danebenquoll.

 

So vergingen einige Minuten des Schweigens.  Als sich Clode etwas beruhigt hatte, ergriff der Geistliche das Wort.

 

„Es war sicherlich eine schlimme Nacht für Sich, meine Tochter.“

 

Clode blickte sie mit verquollenen Augen an.

 

„Er ist der Teufel.“

 

Sie schluckte. Keiner sagte etwas.

 

„Luther soll in den Gasthof kommen. Er sagte, man habe für den Frevler eine kleine Überraschung vorbereitet. Er würde den Gasthof nicht erreichen. Der Rhein sei an einigen Stellen zu tief.“

 

„Weißt du auch, wie er nach Worms kommt ?“

 

„Ja, er wird irgendwo jenseits des Rheins von Rittern des Papstes abgeholt und eskortiert, damit er sich nach Worms kommen kann, der Kaiser habe ihm 21 Tage Sicherheit zugesagt, und diese würde er, der Nuntius, erbringen.“

 

Alle schwiegen. Wie sollte man sich mit einer bewaffneten Eskorte des Papstes anlegen, um Luther zu retten ? Konrad ließ seinen Kopf laut dröhnend auf den Tisch fallen. Der Schmied stieß ein unverständliches Wort aus. Magda schüttelte nur ungläubig den Kopf; für sie, die von dem Geistlichen eingeweiht war, war alles völlig unverständlich, insbesondere, dass die Kirche sich selbst an einem Geschöpf Gottes vergehen wollte.  Und dies ohne Reichsbann. Es gab auch kein Verfahren gegen Luther.

 

Nur der Geistliche blieb ruhig. Seine Blicke hellten sich auf.

 

„Wann kommt Luther denn nach Worms ?“

„Es soll die Mitte des Monats sein, dann soll er zum Kaiser.“

„Es bleibt uns nicht viel Zeit. – Schmied, du hast doch ein Pferd. Das brauchen wir.“

 

Der Schmied schaute den Geistlichen erschrocken an. Eben war er noch in tiefster Erbitterung darüber, dass wohl kein Weg gefunden werden kann, Luther zu retten, jetzt soll er sein Pferd opfern ? 

 

„Warum mein Pferd ? Soll das die Schlacht gegen die Truppen des Papstes schlagen ?“

 

Der Geistliche kümmert sich nicht um den leicht höhnischen Unterton in der Stimme des Schmiedes, die von der Angst um sein Pferd geprägt war.

 

„Luther kommt aus Sachsen. Es heißt, der Fürst wäre gut auf Luther zu sprechen. Wir müssen ihn verständigen. Vielleicht kann er uns helfen..“

„Ja, ich weiß wo das Lager der Sachsen ist“, warf Clode ein.

„Weißt du auch, ob der Kurfürst unter ihnen weilt oder ob er sich anderen Dingen, wie der Jagd drüben auf der Rheinseite hingibt ?“

„Zuletzt war er noch da.  Er ist selten abwesend.“

„Nun, Schmied, dann kannst du derzeit wohl um dein Pferd beruhigt sein. Wir…“ – er deutete auf Konrad und sich – „werden zu ihm gehen.“

„Und dann sagt Ihr ihm, ihr wollt Luther retten und er möge die Truppen des Papstes vernichten.“

 

Der Schmied lachte bei diesem Satz höhnisch auf.

 

„Nein, ich werde ihn fragen, ob er nicht sein Landeskind eskortieren kann.“

 

Nach der Frühandacht verließen der Geistliche und Konrad Worms und begaben sich in die Lager der angereisten Fürsten. Dank der Angaben von Clode fanden sie auch schnell das Lager der Sachsen.  Ihnen wurde bereitwillig gezeigt, wo sich das Zelt des Fürsten befand, der sich nicht in einem Gasthof einquartiert hatte, sondern bei seinen Rittern blieb.  Allerdings wurde ihnen der Zutritt zum Zelt verwehrt. Ein Stiefelknecht verbat ihnen dort hinzugehen. Eine Audienz müsse vorher abgesprochen werden.

 

„Mein Sohn, Gott kommt überall hin. Er fragt nicht erst. Und er ist stets willkommen bei jedem guten Christen. Nun gehe in das Zelt und sage deinem Herrn, dass ein abgesandter Gottes da sei und ihn sprechen wolle.“

 

Der Stiefelknecht war über die Bestimmheit der Worte des Geistlichen erstaunt. Um nicht einen Fehler zu machen, ging er tatsächlich in das Zelt. Nach kurzer Zeit schon kam er wieder heraus.

 

„Hochwürden, der Kurfürst erwartet Euch. Aber nur Euch, nicht den.“ Dabei deutete er mit einem Kopfnicken auf Konrad.

 

„Doch mein Sohn. Auch meinen Gehilfen Konrad erwartet der Fürst. Du weißt doch um die Dreifaltigkeit Gottes.“

 

Verwunderung machte sich bei dem Stiefelknecht breit. Was hatte eine Dreifaltigkeit mit zwei Personen zu tun ? Aber er verhinderte nicht, dass Konrad hinter dem Geistlichen in das Zelt trat.

 

Mitten im Zelt stand der Fürst. Er war von Statur ersichtlich sehr behäbig. Von ihm wurde erzählt, dass er ein starkes Gefühl für Recht und Moral hatte. Er hatte 1519 zugunsten von dem jetzigen Kaiser Karl V. auf die Kandidatur zur Kaiserkrone verzichtet.

 

„Nun Hochwürden, es muss ein wichtiges Gespräch sein, was Euch aus den Toren von Worms hier zu mir in das Lager führt.“

„Gepriesen sei der Herr“, begann der Geistliche.

 

Der Fürst wunderte sich, da der Geistliche dies in Deutsch und nicht in der gängigen lateinischen Sprache erklärte.

 

„In Ewigkeit, amen“ erwiderte der Fürst.

„Ja, ich kann es nicht verhehlen. Doch sehe ich es als geboten, da es doch um Euch geht.“

„Um mich ? Habt ihr Angst um mein Seelenheil in einem Lager ? Ihr wisst, ich war auch im Heiligen Land, noch nicht musste sich jemand Gedanken um mein Seelenheil machen.“

„Ich glaube es Euch. Der  Ruf der Gerechtigkeit und der Gottesgläubigkeit eilt Euch voraus.“

„Nun dann, so kann er mich doch nicht meinen.“

„Oh doch. Denn Ihr achtet auch auf jene, die die Gnade haben, unter Eurer Regentschaft zu leben.“

„So ist es. Doch was hat das, zumal hier, mit Eurem Gespräch mit mir um mein Seelenheil zu tun ?“

„Erlaubt, das Seelenheil kommt von Euch. Doch ist es wohl richtig. Denn es würde wohl Euer Seelenheil  berühren, wenn jemand aus Eurem Land betroffen ist.“

„Wer soll betroffen sein ? Und wovon ? Ihr sprecht in Rätseln. Löst sie für uns auf.“

„Ich möchte es gerade heraus sagen: Es geht um Martin Luther.“

„Den Mönch kenne ich. Ich habe mich schon um ihn gekümmert. Er hat 21 Tage freies Geleit. Dafür habe ich gesorgt.“

„Was sind 21 Tage ? Was sind Worte ?“

„Was wollt Ihr uns damit sagen, Hochwürden ?“

„Ihr seit mächtig, wo Ihr seit. Doch wo Íhr nicht seit, könnt Ihr nicht veranlassen  -  und nichts verhindern.“

„Ihr Geistliche sheint die Kunst zu mögen, in Parabeln  und anderweitigen Reden zu schwelgen, die uns unverständlich sind.“

„Was würdet Ihr sagen, wenn Luther nicht kommt ?“

„Warum sollte er nicht kommen ? Er wurde geladen und wir haben ihm ausrichten lassen, dass er zu folgen hat.“

„Wenn er nicht kommen kann.“

„Wieso sollte er nicht können ? Ist er erkrankt ?“

„Nein, aber er könnte vor der Ankunft versterben.“

 

Der Kurfürst musste laut lachen.

 

„Der Mönch ? Ihr kennt den Mönch nicht. Der stirbt nicht so schnell. Er hat Kraft für mehrere Männer."

„Aber was nützt ihm dies, wenn er getötet wird ?“

„Wer sollte ihn töten ? Er wird begleitet. Es sind bewaffnete Ritter. Da ist er sicher.“

„Vor anderen, Gesinde, Tagediebe, ja.“

„Wollt ihr damit sagen, seine Begleitung würde ihn töten ?“

 

Der Geistliche antwortete nicht.

 

„Ihr wollt es uns also, wenn auch etwas unverständlich, sagen. Wie kommt er darauf ? Der päpstliche Abgesandte selbst wird den Begleitschutz stellen.“

 

Wieder sagte der Geistliche nichts.

 

„Führe ich jetzt Selbstgespräche ? Ihr wolltet mir doch etwas sagen, nicht wir uns selbst. Wollt Ihr mir mit Eurem Schweigen etwa sagen, die päpstlichen Begleiter würden ihn töten ? Das glaubt Ihr doch wohl selbst nicht. Nuntius  Hieronymus Aleander war mit den von mir vorgeschlagenen 21 Tagen sogar einverstanden.  Woher wollt Ihr also wissen, dass es nicht stimmt.“

„Hört mich an. Es klingt unglaubhaft, ja sogar frevelhaft. Der Bursche hier, Konrad ist sein Name, er ist Geselle des Schmiedes in Worms, kann sehen.“

 

Wieder lachte der Fürst laut auf.

 

„Richtig.“ Er prustete vor Lachen weiter. „Das ist Frevel. Er müsste verbrannt werden. Aber wir haben heute unseren guten Tag und wollen das vergessen.“

 

Weiter prustend lachend setzte er sich auf einen Hocker. Der Geistliche aber sah ihn weiterhin ernst an.

 

„Er hat es gesehen. Wie er auch schon früher Unheil vorhergesehen hatte. Es ist für mich nicht Frevel, sondern ein göttlicher Wink.“

 

Das Lachen hörte auf. Auch der Fürst wurde ernst.

 

„Die Kirche ist etwas Heiliges. Nun gut, es gibt bestimmte Sachen, die ich auch nicht gut heiße. Aber Hexerei und Zauberei mag ich auch nicht. Und wenn Ihr mir jetzt noch die Unterstützung derartiger Freveltaten kund tut, dann muss ich handeln.“

„Ihr müsst tun, was ihr tun müsst. Aber auch ich muss tun, was ich tun muss.“

 

Beide starrten sich jetzt beinahe feindselig an. Doch nun mischte sich Konrad ein.

 

„Ihr seit auch in Gefahr. Wenn es auch nicht so schlimm ist.“

„Ah, der Seher. Was hat er denn gesehen ?“

„Bei Eurem Schemel ist ein Bein kaputt. Ihr werdet gleich auf dem Boden liegen. Und da ihr dabei laut schreit, werden zwei Ritter mit gezogenen Schwertern hereinstürmen, da diese denken, wir hätten Euch Gewalt angetan.“

 

Wieder musste der Fürst laut auflachen. Er lachte so stark, dass der Hocker wankte. Plötzlich löste sich ein Bein und der Hocker krachte zusammen. Der Fürst fiel zu Boden und stieß vor Schreck einen lauten Schrei aus. Sofort öffnete sich das Zelt und es stürmten zwei Ritter mit gezogenen Schwertern herein, die auf den Geistlichen und Konrad, die ruhig stehen blieben zueilten.

 

„Halt !“

 

Durch den Ruf des Fürsten blieben sie stehen.

 

„Geht wieder. Der Schemel war kaputt.“

 

Konrad und der Geistliche sowie die zwei Ritter gingen zum Fürsten um ihm beim Aufstehen behilflich zu sein.  Danach verließen die Ritter das Zelt.

 

„War es Zufall oder nicht. Wenn nicht  -  dann war es Zauberei.“

„Nein, ein Zeichen Gottes. Gott will, dass du uns hilfst. Gibt es nicht im Testament viele Beispiele, in denen sich Gott erst durch Zeichen offenbaren musste, damit der Sterbliche ihn in seiner Allmacht erkennt ?“

„Ihr nennt es Gotteswerk ? Ich Zauberei.“

„Nun, dann mag Gott Zauberer sein. So hat er uns auch erschaffen, kraft seiner Zauberkraft  -  wie Ihr sagt.“

„Was hat der Bursche noch gesehen ?“

 

Der Geistliche berichtete von dem Mädchen.

 

„Und er hat nichts gemacht ?“

„Wie konnte er wissen, dass es ein Zeichen ist, eine Warnung, eine Aufforderung etwas zu tun ?“

„Erzähl mir Deinen Traum zu  Martin Luther.“

 

Konrad erzählte nun seine zwei Träume auch in der von ihm geträumten Reihenfolge.  Während er sprach, hatte sich der Fürst auf einen anderen Hocker gesetzt, nicht ohne bei diesem zuvor die Beine zu prüfen, was den Geistlichen zu einem  - von niemanden bemerkten -  Schmunzeln veranlasste. Als Konrad endete, trat Schweigen ein.

 

„Nun gut. Nuntius Hieronymus Aleander will unbedingt die Reichsacht über Martin Luther. Er setzt dazu alles in Bewegung. Und er scheint nicht geringen Einfluss auf den Kaiser zu nehmen. Ob wir den Kaiser abhalten können, weiß ich nicht. Dass er aber dem Mönch schon vorher nach dem Leben trachtet….“

 

Der Fürst wiegte seinen Kopf. Er war ersichtlich geneigt, dem Geistlichen und Konrad zu glauben. Jedenfalls wollte er die Möglichkeit nicht ganz ausschließen.

 

„Und was meint Ihr, soll ich jetzt machen ? Soll ich etwa Nuntius Hieronymus Aleander von dem Traum erzählen und auffordern, Träume nicht wahr werden zu lassen ? Unglücksfälle können doch immer wieder passieren. Kaiser Barbarossa ist auch ertrunken.“

„Nein, es wäre auch nicht gut ihm mitzuteilen, dass wir seinen Plan kennen. Dann würde er einen neuen ersinnen.“

„Den könnte uns der Seher ja auch mitteilen.“

„Fordert Gott nicht heraus.  Gott hat sich uns offenbart und einen Hinweis gegeben. Wir dürfen nicht darauf vertrauen, dass wir immer wieder Hinweise bekommen. Wir müssen schon selbst handeln.“

„Dann frage ich Euch: Wie ?“

„Martin Luther ist ein Untertan von Euch. Ihr könntet ihn begleiten. Der Weg würde etwas geändert und die päpstliche Truppe wäre umsonst unterwegs. So käme er sicher hierher.“

 

Dabei lächelte der Geistliche verschmitzt. Und der Fürst, er musste wieder laut loslachen.

 

„Ihr seit mir ein Stratege. Leider gehört Ihr der falschen Zunft an. Euch bräuchte ich bei mir. Der Plan ist gut. Nur: Wo können wir Martin Luther abfangen, bevor er mit den Päpstlichen zusammentrifft ?

 

„Verlasst Euch auf uns. Wir werden es herausfinden. Aber wir sollten uns beeilen. Ich denke, morgen aufbrechen wäre nicht schlecht.“

„So soll es sein. Ihr beide reitet mit. Ich gebe Euch meinen Hauptmann und zwanzig meiner besten Ritter mit. Dann dürfte nichts geschehen. Ich denke nicht, selbst wenn wir mit den Päpstlichen zusammentreffen, dass diese es wagen, uns anzugreifen. Die Päpstlichen wollen auch nur mit fünfzehn Rittern Martin Luther begleiten  -  und sind auf uns nicht vorbereitet. Findet Euch also morgen nach Sonnenaufgang hier ein.“

 

Der Geistliche verbeugte sich und Konrad ahmte dies, etwas unbehelflich, nach. Dann machte der Geistliche ein Kreuz, sagte

„Gepriesen sei der Herr“

Und der Fürst erwiderte mit

„In Ewigkeit Amen“.

 

Konrad und der Geistliche verließen das Zelt und gingen durch die Lager wieder zur Stadt zurück. Während sie in den Lagern waren, schweigen sie. Auf dem freien Feld unterhalb der Weinreben fragte der Gistliche, ob Konrad tatsächlich einen Traum im Hinblick auf den Hocker hatte.

 

„Ja., heute Nacht. Ich konnte nur nicht erkennen, wo. Es war zu dunkel. Und die Personen habe ich auch nicht erkannt. Nur die Ritter, die dann hereinkamen, habe ich erkannt. In der misslichen Lage, in der wir uns befanden, habe ich es darauf ankommen lassen.“

 

Der Geistliche blieb stehen.

 

„Konrad, nur gut, dass du mir das jetzt erst erzählst. Mein Herz wäre stehen geblieben.“

„Wieso habt ihr nichts von dem erzählt, was Clode berichtet hat ?“

 

 

„Es wäre wahrscheinlich, dass er es nicht geglaubt hätte.  Eine Marketenderin hat keinen guten Leumund…“

 

 

Fortsetzung folgt