Tschüss

Beim Griff nach einem Buch fällt ein Bild heraus, welches dort wohl als Lesezeichen verwandt wurde. Ich hebe es auf. Erinnerungen kommen hoch.

 

"Nein, Cora, nein !" Die hohe Stimme des kleinen Mädchens schien ärgerlich. Der Kopf ihres Gegenüber wurde schief gestellt und mit treuen dunklen Augen schaute ihr Gegenüber sie an. Es war zu erkennen, dass ihr Gegenüber, fast halb so hoch wie sie selbst, überlegte, ob eine Reaktion, und wenn ja welche angemessen wäre. Dann aber legte ihr Gegenüber das Plüschtier, welches sie vorsichtig im Maul hielt, auf den Boden und das Mädchen nahm es zu sich, bückte sich und umarmte die Hündin. Sie legte ihr das Halsband an und rannte mit ihr aus dem Haus auf die Wiese.

 

Verspielt war sie. Waren Kinder zusammen, war sie mitten unter ihnen. Nur eines durfte man nicht: die Hand gegen ihren kleinen Schützling, das Mädchen erheben. Dann knurrte sie. War toben angesagt, war sie stets dabei. Sie sprang an einem hoch. Nahm man sie an den Füßen und fing an sich zu drehen, wodurch sie durch die Luft schwebte, wurde sie nicht unruhig; im Gegenteil, nach Beendigung kam sie sofort erneut und wollte erneut gedreht werden. 

 

Erwartungsvoll kam sie immer in den Raum.  Ein deutliches Zeichen, dass sie Gassi gehen wollte. Pressierte es, wurde nur die Tür geöffnet, und sie rannte selbst hoch zur Wiese,  wo sie dann schwanzwedelnd auf einen wartete.

 

Bei den abendlichen Spaziergängen war sie meist hinter einem  -  wissend, dass sie wohl so am besten unbemerkt „Dummheiten“ machen konnte. Wurde sie „erwischt“, kam sie, langsam, eingeknickt am Boden fest kriechend und blieb vor einem liegen, mit ihren dunklen Augen treu nach oben schielend. Zu den Dummheiten gehörte auch das Nachstellen von Wild im Wald. Sie rannte hinterher, bis sie auf gleicher Höhe war, ließ dann ab und rannte zurück, um schließlich wieder eingeknickt kriechend anzukommen.


"Was lachst Du, Papa ?" Ich blicke hoch. Da war es, das kleine Mädchen, heute eine junge Frau zu Besuch. "Mir fiel gerade etwas lustiges ein, als ich das Foto sah." - "Erzählst Du es mir nachher ? Ich muss kurz weg." Und fort ist sie. Ich schaue ihr nach und blicke wieder auf das Foto.


Es war Winter. Die Abendrunde ging durch ein wenig befahrenes Wohngebiet. Den ganzen Tag hatte es schon geschneit und immer noch schneite es leicht. Cora ging wieder hinter mir. Mit den Ohren war ich, so dachte ich, wie immer bei ihr; würde ich ein Fahrzeug hören, müsste ich mich umsehen um sie eventuell zu mir zu rufen. Irgendwann schaute ich mich um. Cora stand mitten auf der Fahrbahn. Dahinter ein Fahrzeug, ein Polizeiwagen, den ich im Hinblick auf die Schalldämmung durch den Schnee nicht gehört hatte. Wie lange beide dort standen, weiß ich nicht. Ich rief Cora, die zu den Polizisten blickte, stolz den Kopf nach oben reckte und langsam zu mir auf den Bürgersteig kam. Der Polizeiwagen setzte seine Fahrt fort, geräuschlos. 

 

Letztlich konnte man ihr nicht ernsthaft böse sein. Sie wusste durch ihre Mimik genau, wie sie das Verziehen schnell erreicht. 

 

So vergingen die Jahre. Aber irgendwann ging es nicht mehr. Nur mühsam konnte sie sich erheben. Ihr Blick brachte Schmerz zum Ausdruck. Die Freude war verflogen. Traurig verfolgten ihre Augen das Geschehen um sich.  Krebs war die Diagnose, ein einschläfern nicht zu vermeiden. Im Garten fand sie ihre letzte Ruhe, dort, wo sie einst herumtollte.

 

Versonnen lege ich das Bild in das Buch. Das aufgeschlagene Kapitel heißt „Wir alle werden älter“. Wie wahr. Einiges bleibt dabei leider zurück und wir müssen Tschüss sagen.


Hunde haben alle guten Eigenschaften des Menschen, ohne gleichzeitig ihre Fehler zu besitzen.


Friedrich II. der Große