Anklage

 

Die Künstlerin und Psychotherapeutin Lisa Winter (http://lisawinter.jimdo.com)  hat das Bild "Anklage" (2010) gemalt. Beeinflußt und angeregt wurde sie hier zum einen durch das aktuelle umfassende Aufdecken von Vergehen an Minderjährigen und Schützlingen, zum anderen auch durch ihr persönlich zugetragene Berichte Betroffener über deren Martyrium.

 

Anklage (Lisa Winter)
Anklage (Lisa Winter)

 

Das ausdrucksstarke Bild macht betroffen und spiegelt auch die Betroffenheit selbst. Es lässt die Zerrissenheit erkennen, die die Opfer nicht nur in der momentanen Situation der Tat durchleben, sondern die sie für ihr restliches Leben prägen. 

 

Die Schicksale sind grausam und Vielfältig. Es ist nicht nur der Pfarrer, der sich an den ihm Anempfohlenen vergeht, es geschieht auch im engsten Familienkreis. Der hier bekannte Fall, dass das Mädchen vom eigenen Vater missbraucht wurde, findet seinen unverständlichen Höhepunkt darin, dass die eingeweihte Mutter nicht Partei für ihre Tochter ergreift, sondern die physische Belastung des Opfers ins Unermessliche dadurch steigert, dass sie lakonisch anmerkt, dass es ihr der Vater hoffentlich "richtig besorgt" habe. Das Opfer stößt damit nicht nur auf Unverständnis bei denjenigen, in deren "Obhut" es ist, sondern wird zum Objekt dieser Sorgeberechtigten degradiert.

 

Hier lag nicht nur der Straftatbestand des § 173 StGB vor (Beischlaf zwischen Verwandten), sondern tateinheitlich damit ein Vergehen nach § 174 StGB (sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen, bis zum 16. Lebensjahr) und nach § 178 StGB (sexueller Missbrauch von Kindern, war der Schutzbefohlene noch keine 14 Jahre alt), ferner Vergewaltigung nach § 177 StGB.  Das Strafrecht geht relativ human mit dem Täter um:

  • § 173 StGB: Freiheitsstrafe bis drei Jahre
  • § 174 StGB: Freiheitsstrafe drei Monate bis fünf Jahre
  • § 178 StGB: Freiheitsstrafe 6 Monate bis zehn Jahre
  • § 177 StGB: Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren (Fall der Vergewaltigung)

Es liegt regelmäßig in diesen Fällen ein Fall des § 177 StGB vor, weiß nicht die Verteidigung geschickt den besonderen Tatbestand zu negieren. Um den Tatbestand zu bekräftigen, muß das Opfer selbst ausführliche Angaben machen, im Ermittlungsverfahren und nach Anklage im gerichtlichen Verfahren selbst. Es wird mithin ständig mit dem Vorgang konfrontiert, erscheint  - bei entsprechender Verteidigung - eher als Täter denn als Opfer. Das Martyrium setzt sich also fort.

 

Bei dem Täter beginnt die Resozialisierung. Das Opfer aber ist im wesentlichen auf sich selbst gestellt. Dies insbesondere dann, wenn sich die Tat im engsten Familienkreis ereignet und die "Familie" zum Täter "steht". 

 

Gerne wird die Situation als gesellschaftsbedingt begründet. Eine Scheinargumentation, mit der eine Verharmlosung  - bewusst oder unbewusst -  einhergeht. Bei der Tat handelt sich nicht um ein gesellschaftlich zu begründendes Phänomen,  gesellschaftlich lässt sich allenfalls die Absurdität der Behandlung der Tat begründen. Der Trieb als solcher ist in der Person des Täters begründet, nicht in gesellschaftlichen Phänomenen. Die Behandlung des Täters im Zuge einer Resozialisierung ist ein gesellschaftliches Phänomen des Umgangs mit Straftätern. Seine Behandlung wird in den Vordergrund gerückt, nicht die notwendige psychische Behandlung des Opfers. Das Bemühen um den Täter lässt das Opfer vergessen, welches selbst aber nicht vergessen kann.

 

Das Opfer muss bei Offenbarung der Tat, geschieht diese gar im engsten Familienkreis, mit familiären Anfeindungen rechnen, kann dort jedenfalls nicht auf Hilfe rechnen (wie sollte z.B. eine Mutter, die wie oben dargelegt reagiert, ihrer Tochter eine Hilfe bei der notwendigen psychischen Verarbeitung sein ?). 

 

Dieses gesellschaftliche Phänomen im Umgang mit Täter und Opfer in Fällen sexueller Vergehen ist zu überdenken. Nicht eine Behandlung des Täters hat im Vordergrund zu stehen, sondern die des Opfers. Die Stigmatisierung des Opfers läßt sich durch eine resozialisierende Strafmaßnahme nicht beseitigen.