Der Finger

Kapitel 1

 

 

Wer kennt sie nicht, die Zeigefinger mit den übergroßen Fingernägeln , lackiert in modischen oder unkonventionellen Farben und Formen. Sie stehen allerorten , markieren die Ränder von Straßen inner- und außerorts . Der erhobene Zeigefinger hat immer die Bedeutung einer Drohung und rächt sich unerbittlich , wenn man sich seinem Diktat nicht beugt.

 

Obwohl dieser blecherne Finger kaum etwas dafür kann, daß er nicht geliebt wird. Hat er es etwa zu verantworten , daß er mehr denn weniger willkürlich an allen denkbaren und undenkbaren Orten aufgestellt wird , sein Fingernagel mit den seltsamsten Gebilden verziert wird , die in Form der Zeichensprache bedeutsame Weisungen enthalten , deren Nichtbeachtung zu gar empfindsamen anktionen führen können ? Oder sind es nicht letztlich andere, die aus der Lust einer bestimmten Laune heraus, das Diktat des Fingers bestimmen?

 

Wie häufig wird sich mancher schon gefragt haben, weshalb hier jener , dort ein anderer finger steht. Aber wenn er dann in einer für die Fingerüberwacher typischen , computergesteuerten Höflichkeit, gefaßt in Schriftform , auf die Nichtbeachtung des Fingerzeigs verwiesen wird, wird es ihm bewußt: Bedeutsam sind diese Finger jedenfalls zur Aufbesserung der Kasse , wobei allerdings zur Entschuldigung angemerkt werden darf (oder soll ?), daß es nicht unbedingt die eigene Kasse ist - obwohl dies die Sache auch nicht besser macht.

 

Tatsache ist jedenfalls , daß diese Finger keinen Selbstzweck dienen und nach meiner Er­ Kenntnis auch noch niemand ihr Produkt als Verschönerung der Landschaft bezeichnete.

 

Zwar gibt es immer wieder einige , die (zumindest ihrem frei geaußerten Tenor nach) eine ökologische Werthaltigkeit behaupten . Dabei beziehen sie abber ihre Argumentation weniger auf das Produkt dieses Fingers, als vielmeh r auf das mit dem erhobenen Zeigefinger gewünschte Resultat. Dabei soll hier nicht der sicherlich tiefzuergründenden Frage nachgegangen werden , ob das angedachte Resultat tatsachlich eintritt; darüber streiten tatsachliche als auch selbsternannte Experten ohne jegliches Ergebnis mit einer derartigen Lust am Streit als solchem , daß ich hier nicht als Lustverderber dastehen möchte. Aber es darf doch die Frage zumindest angedeutet werden (und mehr wage ich in dieser doch so pluralistischen Gesellschaft gar nicht), ob die jeweiligen Experten ernsthaft meinen, einzig durch ihre Weißheit das Recht zu haben, andere zu Bevormunden.

 

Der verehrte Leser wird schon gemerkt haben, daß der angeprochene Fingerzeig hier zugespitzt auf ganz bestimmte Finger angesprochen wurde : jene , die runde Fingernagel haben, nett rot umrandet und mit einem aktuell-mod ischen Schwarz in der Mitte versehen , ausgebildet in Form von Ziffern. Sie stehen   - auch - an allen Orten, innerhalb und außerhalb von Stadten , in Wohngebieten ebenso wie auf Autobahnen . Sie sollen den mündigen Kraftfahrer vor dem zu schnellen Befahren von Kurven warnen , Anwohner vor erhöhten Larmbelastigungen durch hohe Geschwindigkeiten schützen und teilweise ...... Teilweise ist es aber nicht klar, was sie sollen . Ihre Funktion leuchtet dem (mündigen) Kraftfahrer nicht ein. Nun gut: Es gab sicherlich zur Aufstellung eine Begründung , pardon: ofizielle  Begründung .                    Da     wird      teilweise bei                         Bundesautobahnen die Geschwindigke itsreduzierung mit Larmschutz der Anwohner begründet. Nur wer (außer möglicherweise noch lebenden Hasen und Igeln) jener Anwohner sein soll, der vor vermeindlichen Larm durch Geschwindigkeiten geschützt werden soll, ist jedenfalls nicht immer feststellbar (was z.B. auch der Hassische Verwaltungsgerichtshof           in einer Entscheidung feststellte , mit dem er eine mit Larmschutz   begründete   Geschwindigkeitsbeschränkung          auf einer Bundesautobahn aufhob) .

 

Des Autofahrers Pech ist allerdings , daß der Gesetzgeber vorgebeugt hat. So darf natürlich der mündige Kraftfahrer nicht selbst entscheiden , ob die mittels des Zeigefingers angeordnete Maßnahme sinnvoll ist: Er bezeichnet den Finger als Verwaltungsakt und belegt ihn mit etwas, was er Sofortvollzug nennt. Solange dieser Verwaltungsakt nicht aufgehoben wurde , ist er - gleich ob sinnvoll oder nicht - zu beachten . Aber der Kraftfahrer kann Hoffnung schöpfen : Er darf immerhin gegen ihn sinnlos erscheinende Zeigefinger gleichwohl vorgehen , wozu allerdings nicht ein wohl- oder weniger wohl artikuliertet Aufschrei gehört , sondern eine Eingabe bei demjenigen , zu desen (langer) Hand der Finger gehört. Diese als Widerspruch zu benennde Eingabe hat auch eventuell Erfolg (vgl. die oben genannte Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes)

- doch dauert dies schon einige Jahre , w hrend der er den Finger immer noch beachten muß.

 

Und der Verstoß gegen das durch den drohenden Finger ausgesprochene Verbot wird gerne genutzt , um bestimmte Kassen zu füllen . Ja, man kann mit Fug und Recht sagen , es wird der Verstoß sogar erwartet , die Einnahme einkalkuliert . Die Haushaltaltskassen , denen die Gelder aus Verstößen zugutekommen , spekulieren zu Beginn der Haushaltsjahre auf möglichst viele (zahlungskr ftige) Verstöße . Ach , armer Autofahrer : Verminderst Du Deine Verstöße , müßten mehr Zeigefinger aufgebaut werden , damit die Spekulation erfolgreich ist.

 

 

 

 

Kapitel 2

 

 

 

Nun werden aber die Verstöße gegen jenen Aklt geplanter staatlicher Gewalt aus (zumindest auch) fiskalischen Erw gungen h ufig auch zu weiteren Sanktionen genutzt , die bei dem in seiner fiskalischen Demut ohnehin schon demütigen mündigen Kraftfahrer noch weniger gerne gesehen werden : Ihm soll über eine mehr oder weniger lange Zeit

sein Lieblingspielzeug entzogen werden. Man möge sich das Geschrei des Babys vorstellen, dem der Schnuller entzogen wird ; ähnlich ist dem Kraftfahrer zumute , dem das genommen wird, was er nach allgemeiner Ansicht zum Fahren eines Fahrzeuges benötigt: deb gemeinhin und abschätzig als Lappen bezeichneten Führerschein.

 

 

Teil 1

 

 

Herr V. fuhr - wie so häufig - Richtung Süden . Und Herr V. fuhr gerne Auto, fährt gerne schnell mit dem Auto und fährt gerne schnelle Autos . Nein, Herr V. war nicht Rennfahrer, Herr V. war (sagen wir einmal) juristischer Berater einer Gesellschaft . Und er befand sich auf dem Weg in die Schweiz , beruflich natürlich . Er fuhr durch den Breisgau, vorbei an der Stadt Fr. Dabei mußte er zu seiner Verärgerung feststellen (oder hatte er es tataschlieh nicht gesehen ?) daß sich ständig , alle paar Kilometer der warnende Zeigefinger erhob und ihm gebot nicht schnller als 120 km zu fahren , und das in der Stunde. Ja, Herr V. hatte es eilig (er hatte es immer eilig) und ja, er wollte noch am Abend sein Ziel in der Schweiz erreichen und es war schon nach 16 Uhr. Und: E herrschte kaum Verkehr , die Strecke war geradezu kerzengerade und Bebauung war rechts und links der Autobahn nicht vorhanden. Mußte Herr V. da überhaupt mit diesem Finger rechnen: Ja, er mußte. Denn nichts eignet sich als Einnahmequelle besser als der Ort, wo sie nicht erwartet wird , der Autofahrer vielmehr durch Natur und Streckenführung zu einem ausgelassenen Fahren geradezu eingeladen wird .

 

 

Und dann war es Herrn V. als sei er in eine Bundespressekonferenz geraten , so ging das Blitzlicht auf ihn nieder. Unerbittlich zeigte die Tachonadel eine Geschwindigkeit ; war sie tatsächlich höher als 160 km ?

 

 

Teil 2

 

Der weitere Werdegang dürfte auch dem nicht so erfahrenen Autofahrer wie Herrn V. bekannt sein: Anhörung , Bußgeldbescheid . Denn ohne Bußgeldbescheid verliert ja die Hand, zu der der so schändlich mißachtete Finger gehörte , ihren Anspruch auf die Kollekte, die sie doch bereits in hellseherischer Fähigkeit zum Jahresbeginn für ihre Kasse einplante .

  

Der Reihe nach:

  

Natürlich kam es auch hier zu dieser Anhörung. Wobei alle Beteiligten Wissen, daß Anhörung nichts mit Hören zu tun hat. Anhörung ist vielleicht sogar das genaue Gegenteil: Ich schreibe - du schreibst- und keiner nimmt etwas zur Kenntnis .

 

So wird die Anhörung durch ein nettes, computergesteuertes Anschreiben eingeleitet , in dem dem Kraftfahrer sein ungehöriges Fehlverhalten vorgehalten wird und ihm die Möglichkeit eröffnet wird, sich evtl. zur Sache zu äußern . Zu allem Überfluß werden in diesem cumputersprachfreundlichen Schreiben nicht nur Name und Anschrift des so ertappten Verkehrssonders erfaßt, auch erfährt er nunmehr sein Geburtsdatum und seinen Geburtsort . Allerdings ist er verwundert , liest er tatachlieh diese Anhörung : Nicht nur wird ihm dort die Gelegenheit gegeben , sich zur Sache zu äußern , er wird auch unter Strafandrohung im Weigerungsfall aufgefordert seine persönlichen Daten bekanntzugeben , wie da sind Name (nebst Vorname) , Anschrift , Geburtsdatum und Geburtsort . Oha, fragt sich da der ertappte Deliquent, sollte ich mich bezüglich sämtlicher Daten, die doch im Behördenschreiben benannt sind, im Irrtum befinden und versucht man mich hier ob meiner doch schriftlich niederzulegenden Unkenntnis zuätzlich strafrechtlich zu verfolgen ?

 

Diese Gedanken machte sich allerdings Herr V. nicht. Denn das Schreiben wurde nicht an ihn, sondern die 0. GmbH gesandt. Nicht Herr V. sondern die 0. GmbH war nämlich als Kraftfahrzeughalter registriert . Und diese wurde aufgefordert , die Person zu benennen, die das Fahrzeug zur fraglichen Zeit führte , wobei immerhin die Hand, deren Finger hier so gröblich durch Herrn V. mißachtet wurde , erkannte , daß eine juristische Person (und um eine solche handelt es sich bei einer GmbH) nicht selber fahren konnte.

 

 

Aber die 0. GmbH antwortete nicht auf dieses Schreiben . Ob die Antwort nicht erfolgte , da der 0. GmbH der freundliche Stil dieses Schreiben nicht gefiel, weil sie Schreiben nicht erhielt (die Verlustrate bestimmter Schriftstücke bei der Post ist überproportional hoch) oder aus sonstigen Gründen , ist mir nicht bekannt. Tatsache ist nur, daß die Hand wie in solchen Fallen haufig erfahren mußte, daß niemand mit ihr kommunizieren will. Der Vorteil der Hand ist, daß sie darüber gar nicht beleidigt ist. Will mann in dieser Frage, wer Fahrer ist, nicht schriftlich kommunizieren, schickt sie sogar jemanden vorbei. Dabei bedient sich die Hand regelmaßig einer anderen Hand, meist der Vollzugspolizei. Und der freundliche Polizist (oder die freundliche Polizistin) von dem für die 0. GmbH zustandigen Revier kam mit einem Foto, auf dem hübsch anzusehen das Fahrzeug und in demselben Herr V . zu sehen waren . Und nachdem der freunliche Polizist der ob des plötzlichen Einfalls eines Uniformierten erschrockenen Sekretarin beruhigend darlegte , daß es nicht um ein Kapitalverbrechen wie Mord oder Totschlag ginge, gab diese beruhigt samtliehe Daten des Herrn V. preis, so daß nunmehr die Hand, nachdem der freundliche Polizist ihr alles mitgeteilt hatte, das im Juristendeutsch (und die Juristen sind stolz auf dieses Deutsch) als Anhörung bezeichnete Schreiben Herrn V. zusandte . Aber auch hier trat das Phanomen zutage , daß Herr V. nicht reagierte , also eventuell der oben benannte Schwund der Briefpostmenge neuerlich bemerkbar wurde .

 

  

Teil 3

  

 

Gebete werden in der Kirche mit einem Amen beendet. Die von der Hand vorzunehmende Anhörung regelmaßig mit dem Bußgeldbescheid . Anders auch nicht im Falles unseres Herrn V .


So erhielt Herr V. einen Bußgeldbescheid : Er möge so freundlich sein einen Betrag von 200 Deutschen Mark zahlen (Zahlschein zur Vereinfachung anbei) und seinen Führerschein für einen Monat abzugeben (damit könne er sich aber fünf Monate Zeit lassen) . Das Schreiben endete mit "im Auftrag Köpenick" und sollte auch ohne Unterschrift gültig sein .

 

Herr V. zweifelte nicht an der Authentitat des Schreibens . Er suchte einen Rechtsanwalt auf, der hier wegen der Besonderheit des Verfahrens als Verteidiger offeriert. Diesem klagte Herr V. sein Leid: Er brauchte den Führerschein , außerdem sei die Geschwindigkeitsbeschrankung schlecht ausgeschildert. Der Verteidiger beruhigte den Straßenverkehrs-Miesetater : Man könne ohnhin kaum etwas machen , er würde sich erst einmal die von der Hand angelegte Ermittlungsakte besorgen und einsehen. Herr V. verließ den von ihm auserkorenen Verteidiger beruhigt. Da ist jemand , der kümmert sich um die Sache und geht sachlich-ruh ig ran, was man daran sieht, daß er schon jetzt jegliche Hoffnung vernichtet. Aber Herr V. war Jurist und wusste: Das sind die Worte eines Fachmannes .

 

Der Fachmann ließ sich die Akte zusenden , dem die Hand gerne mit der Bitte um Rückgabe und gleichzeitigen Einzahlens einer kleinen Kollekte für die Zusendung überließ. Die Akte wurde kopiert und sodann mit Zahlung des für die Überlassung geforderten Betrages retourniert, nicht vergessend brav und der Schicklichkeit dienen den besonderen Dank für die (rechtliche ohnehin gebotene) Überlassung zum Ausdruck zu bringen (schriftlich , versteht sich) .

 

Und dann teilte der Verteidiger sachlich-nüchtern fest: Der Fahrer des noblen Fahrzeuges war eindeutig sein Mandant. Die Geschwindigkeitsüberschreitung war mittels Radreinblendungen auf dem Foto bestatigt , die Geschwindigkeitsbeschrankung und deren Sichtbarkeit von den verantwortlichen Polizeibeamten bestatigt, die die Hand mit der Bespitzelung der Kraftfahrer beauftragt hatte. Dies teilte der Verteidiger Herrn V. mit

"Sehr geehrter Herr Mandant" mit und fragte an, was denn nur geschehen solle. Herr V. erinnerte sich nun dran, daß er Jurist sei und nutzte das von der Hand für die Erstellung von Schreiben und Bußgeldbescheiden eingeschrankt genutzte Instrumentarium zu einer Recherche auf Errungenschaften , die man gemeinhin mit Datenbank bezeichnet. Und er wurde fündig : Da wird ausgeführt , daß nicht immer dann, wenn ein Missetater mit einer Geschwindigkeitsüberschreitung von mehr als 40 km unterwegs ist ein Fahrvebot ausgesprochen werden muß. Statt dessen könnte eventuell auch eine Erhöhung der Geldbuße in Betracht kommen. (Dem Gerücht, daß diese vereinzelte Rechtsprechung darauf zurückzuführen ist, daß einige Hande ihr Soll gemaß Vorplanung nicht erreichten und von daher lieber höhere Geldbußen denn einem Fahrverbot sehen , soll hier nicht nachgenagen werden) .

 

Hier nun liebaugelte Herr V. mit dem Interesse der Hand und unterrichte seinen fachkundigen Verteidiger . Dieser möge doch bitte rührselig darum bemüht sein alles in seiner Macht stehende zu tun , um der bedauerlichen Finanzknappheit der Hand entgegenzuwirken .

 

 

Teil 4

 

 

Der von dem Strategen für jursitische Fragen eingelegte Einspruch gegen den Bußgeldbescheid führte unweigerlich dazu, daß der bei dem Amtsgericht Fr. zustandige Richter in völliger Unabhangigkeit und seinem Gewissen (und wohl nur diesem) gehorchend einen Termin zur Verhandlung anberaumte , zu dem er das persönliche (wohlgemerkt: nicht das unpersönliche) Erscheinen des Herrn V., der nunmehr als Betroffener in der Sprache der Juristen galt, anordnete . Und Herr V. war tatsachlich betroffen, wollte er doch just zu der Zeit, zu der der Termin stattfand , mit seiner Familien in Urlaub sein , Westfrankreich. Also veranlaßte Herr V. seinen Verteidiger ,   eine Terminsverlegung zu erwirken. Dieser schwang sich auf, teilte dem Gericht (an sich dem Richter) mit, daß sich der Betroffene in Urlaub befande, weshalb der Termin verlegt werden müsse. Der Richter, der seine gesamte Erfahrung und Lebensweisheit bemühte, erkannte scharfsinnig, daß hier nur der Prezeß verzögert werden sollte und forderte getreu dem Motto, der gute Deutsche fahrt nur mit N.... in Urlaub, den Verteisiger auf, einen Beleg für die Buchung des Urlaubs zu überlassen . Und der als Briefkasten oder besser (moderner) Kommunikationsclearingstelle genutzte Verteidiger gab dies mit der aus Aufforderung zu wertenden Bitte an Herrn V. weiter , ihm den Beleg zwecks Weiterleitung an den Richter des AG Fr. zu überlassen .

 

Nun war Herr V. betrübt, der tatsachlich Urlaub machen wollte , allerdings aus prinzipieller Abneigung vor Reiseveranstaltern auf private Initiative . So hatte ihm sein Schwager in Südfrankreich dessen Ferienhaus zur Verfügung gestellt , ohne daß - welch ein Vertrauen noch herrschen kann - dies schriftlich fixiert worden ware. Und dieser Schwager war auch nicht zu erreichen , daß er kuerzerhand entsprechende Vereinbarung hatte schriftlich fixieren können. Der Verteidiger, Ober diese Betroffenheit des Betroffenen informiert , schwang sich nunmehr zu großen Taten auf, unterrichte (natürlich geziemlich schriftlich) den Richter Ober diesen Umstand - und siehe da, den Richter leuchtete ein, daß es doch auch noch Menschen geben kann, die nicht mit N.... reisen und von daher keinerlei Buchungsbelege haben. Er rief den Verteidiger an. Ja, er rief ihn an, es wurde nicht mehr (nur) schriftlich komuniziert, sondern kurzerhand persönlich . Der Richter teilte dem Verteidiger mit, daß er nach der Begründung den Termin verschieben wolle und fragte den Verteidiger (man handelt ja schiisslieh untereinander kollegial) ob dieser Bedenken gegen einen bestimmten Ersatztermin habe, was dieser nach Blick in seinen ansonsten so prallen Terminkalender verneinte . Und so wurde der zunächst festgesetzte Termin aufgehoben, der neue Termin bestimmt und der Betroffene unterrichtet.

 

Alleine , der undankbare Betroffene rief erneut seinen so tapfer die Verlegung durchsetzenden Verteidiger an und hatte nunmehr erneut Muße zur Beschwerde: Nein, der neue Termin passe ihm nun gar nicht. Sein jüngster Sohn würde eingeschult. Und da er auch bei der Einschulung seines zweitjüngsten Sonhes dabei gewesen sei (er hatte insgesamt zwei Söhne) sei es ein Gebot der Gleichbehanbdlung, daß er auch jetzt dabei sei. Er könne den Gerichtstermin in Fr. nicht wahrnehmen . Immerhin könne sein Verteidiger nicht einfach Termine über seinen Kopf hinweg bestimmen , so der betroffene Jurist.

 

Der Verteidiger sah sich um die Früchte seiner glorreichen Arbeit gebracht. Und er war froh , daß Herr V. anerbot, selbst mit dem Richter zu telefonieren . Aber Kommunikation und damit auch Konversation als Teil derselben bedeutet immer den wechselseitigen Willen, eine derartige zu führen . Herr V. kam nur durch bis zu der Stelle die sich als Geschaftsstelle der Abteilung XY des Amtsgerichts Fr. meldete und auf die Antwort auf die Frage, ob der Anrufer Anwalt oder Betroffener sei, er sei persönlich sehr betroffen, die Verbindung mit dem Richter mit der Begründung verweigerte , Betroffene höre der Richter nicht. Für Herrn V. stellte sich die Frage, wie dies denn der Richter in einer Verhandlung durchhalten wollte . Um aber sein kurzfristiges Problem zu lösen, nutzte er seine Gabe, Worte auch in Schriftform zu kleiden und bat aus dem Grund der Einschulung seines jüngsten Sohnes und der verfassungsrechtlich gebotenen Gleichbehandlung mit seinem alteren Sohn um eine erneute Terminsverlegung , die von dem Richter aber unbarmherzig abgelehnt wurde . Ob er wieder nur an eine beabsichtigte Verzögerung des Verfahrens durch Herrn V. glaubte oder seine Ansicht zur Verfassung zum Ausdruck bringen wollte, ist nicht bekannt.

 

Die Ablehnung des Antrages auf Verlegung des Termins veranlaßte aber immerhin den Verteidiger des Herr V . aktiv zu werden . Er beantragte die Ablehnung dieses das Familienglück des Herrn V. eklatant störenden Richters, der wegen eines Verstoßes gegen den erhobenen Zeigefinger des Staates die Wertgedanken von der Einheit der Familie und damit das verfassungsmäßige Gebot des Vorrangs der Familie verletzt . Hat denn dieser Richter nie das Grundgesetz gelesen und den Willen dessen Vater zur Kenntnis genommen , daß der Schutz der Familie verrang hat ? Wie soll dem jüngsten


Sohn des Betroffenen vermittelt werden , daß wegen einiger Kilometer sein Vater an einem für ihn so wichtigen Tag wie der Einschulung nicht da sein kann ?

 

Aber - wenn wundert es - der Richter sah dies anders und betrachtete sich nicht als befangen. Und wie begründete er dies ? Er verwies auf die zwischenzeitlich einige dutzend Seiten umfassende Akte . Und was tat der Anwalt? Er begehrte die Akte um die umfassende Akte gemaß dieser tiefschürfend verweisenden Akte lesen zu können . Und was tat die Richterin, die nun die bedauernswerte Aufgabe hatte über den Befangeheitsantrag gegen ihren Richterkollegen zu entscheiden ? Sie faxte dem Verteidiger einige dutzend Seiten ab Blatt X und mit Ausnahme der Schriftstücke , die vom Verteidiger stammen würden . Und der Verteidiger ? Er rügte dies, da er nicht sehen könne, ob eventuell etwas auf den Rückseiten stünde und auch nicht sehen könne, ob nicht Anmerkungen des abgelehnten Richters auf den übrigen Schriftstücken seien.

 

Und die für die Entscheidung über den Befangenheitsantrag zustandige Richterin ? Sie tat das, was dem Verteidiger vor Freude das Herz höher schlagen ließ, Herrn V. erblassen ließ: Sie wies den Befangenheitsantrag , der nach der Überlassung von Unterlagen per Fax an den Verteidiger von diesem gegen sie erhoben wurde , als unzulassig, den gegen ihren Richterkollegen als unbegründet zurück . Damit mußte der Termin am Tag der Einschulung stattfinden .

 

Herr V., Jurist , mußte nun seinem jüngsten Sohn das erklaren , was der Jurist selbst nicht versteht: Daß er bei der Einschulung nicht da sein könne. Daß er seinen Führerschein brauchte und hoffe, ihn bei Anwesenheit im Termin vor dem Amtsgericht Fr. zu behalten. Der Verteidiger war froh : Hatte er doch für ein Rechtsmittel gegen ein von ihm erwartetes Urteil zu Lasten des Herrn V. neue, vielleicht bessere Argumente und die Chance, daß eventuell doch noch Verjahrung eintritt, eines für jede Verteidigung der schönsten Verteidigungsmittel.

 

 

Teil 5 

 

 

Der geneigte Leser denkt aber sicherlich nicht, daß dieser Termin bei dem Amtsgericht Fr. ohne jegliche Vorbereitung wahrgenommen wurde . Andernfalls würde er die Person von Herrn V. verkennen . Herr V. hatte seinen Verteiger über seine Recherchen in Datenbanken informiert , und sowohl dieser als auch Herr V. selber hatte die Entscheidungen gelesen , wann jemand entgegen der in einem Bußgeldkatalog enthaltenen Bestimmung zwar mit einem erhöhten Bußgeld rechnen müsse, aber nicht mit einem Fahrverbot. Da wird auf die Unübersichtlichkeit der Strecke oder Finger verwiesen , auf ein Augenbliksversagen (fuhr er also davor und danach richtig ?), auf die Bedeutung der Fahrerlaubnis für seine Tätigkeit (darf also der Brutkraftfahrer schneller fahren?) .

 

Daß Herr V. und sein Verteidiger zu spät zu dem angesetzten Termin bei dem Amtsgericht Fr. erschienen , muß wohl nur mitgeteilt werden ; Staus verhinderten hier die Überschreitung von Geschwindigkeitsbeschränkungen und damit auch die Frage nach dem Nutzen derselben .

 

Der Termin selbst begann aber, wie er üblicherweise in Bußgeldsachen beginnt. Der Richter verließt den Bußgeldbescheid, läßt den Betroffenen seine persönlichen Daten (Name, Anschrift, Geburtsdatum und -ort) erklären oder bestätigen um ihn sodann aufzufordern , sich zur Sache zu erklären . Da er aber gar keine Erklärung zur Sache wünscht, weist er ihn pflichtgemäß auch gleich darauf hin, daß er nichts sagen müsse. Herr V., als Jurist unbeeindruckt von diesen in der Ausübung mehr der Verwirrung als der Klarheit dienenenden Förmeleien, wollte aussagen :

 

 

Ja, er sei damsls den Wagen gefahren . Ja, er sei zu schnell gefahren , da er zwischenzeitlich wisse, daß nur 120 km erlaubt seien. Als er das Blitzlicht des Fotoappparates nach der Erfassung durch den Radarstrahl festgestellt habe, habe er auf dem Tacho ca. 160 km gesehen . Nein, er würde nicht regelmaßig zu schnell fahren . Er habe Familie, für die er verantwortlich sei. Er würde -außer vielleicht wegen der Finger mit dem roten Kreis und einem oder zwei Strichen dadurch - nie eine Verkehrsordnungswidrigkeit begehen oder begangen haben. Auch habe er diesen noblen Wagen (mit abgeriegelten 250 km bei 300 PS) erst zum zweiten Mal gefahren und würde vom Gefühl die hohe Geschwindigkeit auch gar nicht merken. Die Strecke, nein die würde er auch nicht haufig waren , zuletzt vor diesem Vorfall wohl ein bis zwei Jahre vorher. Im übrigen seien die Finger auch nicht gut sichtbar gewesen .

  

Oh du Schelm , welch eine imposante Aufreihung theoretischer Möglichkeiten für den Verzicht auf ein Fahrverbot. Herr V. hatte seine Lektion gelernt , er hat die Rechtsprechung der Gerichte, insbesondere auch des für das Amtsgericht Fr. zustandigen Oberlandesgerichts in Ka. berücksichtigt. Daß er das Fahrzeug bzw. den Fahrzeugtyp seit Jahren fuhr , die Strecke vielleicht besser als seine Westentasche kennt, sind Mißlichkeiten , die in Ansehung einer ansonsten drohenden Unbilligkeit hinnehmbar erscheinen. Und sicherlich mußtte Herr V. seine Verkehrsverstöße , beidenen er in der Vergangenheit diesen bestimmenden Finger nicht beachtete, nicht erwahnen , nachdem alles durch Löschung in dem zentralen Register allgemein als vergeben und vergessen zu gelten hatte.

 

Und auch jener Richter, der den Verdacht der Verfahrensverzögerung hatte, zeigte sich beeindruckt. Nein, so ein Betroffener war kein notorischer Verkehrsrowdy . Er fuhr zu schnell , ja. Aber nur dieses eine Mal. Da könne man nicht so hart zuschlagen . Ob denn der Verteidiger auf eine erhöhte Geldbuße von 200 Deutsche Mark statt 200 Deutsche Mark pladieren könne, dann könne und würde er dies in einem Urteil ohne Fahrverbot aussprechen. Der Verteidiger konnte. Die Geldbuße wurde mit 400 Deutsche Mark statt mit 200 Deutsche Mark verhängt ; ein Fahrberbot , wie im Bußgeldbescheid vorgesehen und vom Bußgeldkatalog vorbestimmt entfiel.

 

 

 

Kapitel 3

 

 

Herr V. erlebte, daß der Verstoß gegen den Zeigefinger zu einem Spießrutenlauf zwischen der geballten juristischen Macht und deren teilweise nicht nachvollziehbaren Gedankengängen werden kann, daß er das fiskalische Bestreben Vorrang vor sonstigen Sanktionen hat. Von daher kam hier Herrn V. das Bestreben der Hand, möglichst viel zu verdienen und Schwunde der Vergangenheit aufzubessern , entgegen .

 

Frage an Herrn V.: Wie steht es mit den Argumenten in der Zukunft?